Bleib ungezaehmt mein Herz
jetzt!«
Charlie murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, verließ hastig den Raum und schloß die Tür hinter sich.
»Ich lasse nicht zu, daß du dich in meine Familienangelegenheiten einmischst«, stellte Marcus klar »Ich habe dir bereits gesagt, daß Charlie meine Sache ist, und du wirst ihn auf keinen Fall beeinflussen mit deiner zweifelhaften Moral, deinen Ansichten, deinen Praktiken...«
»Wie kannst du es wagen!« Judith sprang wutentbrannt vom Tisch auf. »Wie konntest du auch nur eine Sekunde annehmen, ich würde Charlie Falschspielen beibringen?«
»Nach dem, was ich von dir weiß, kommt man sehr leicht auf diesen Gedanken«, fauchte Marcus. »Du vergißt, daß ich sehr gut über deine Gewinnmethoden Bescheid weiß.«
Judith war jetzt so bleich, wie sie noch vor einer Minute rot vor Ärger gewesen war. »Du bist ungerecht«, erwiderte sie scharf. »Erst beschuldigst du meinen Bruder, ein Mitgiftjäger zu sein, und dann wirfst du mir ein Höchstmaß an Gewissenlosigkeit vor. Ich wünschte bei Gott, wir wären uns nie begegnet.« Die Worte waren ihr entschlüpft, bevor sie sich versah, und nun lasteten sie bleischwer in der Stille zwischen ihnen.
Einen Moment lang schwieg Marcus. Das Zischen und
Prasseln des Feuers im Kamin war das einzige Geräusch im Zimmer. Dann sagte er leise: »Wünschst du dir das wirklich?« Sein Blick lag mit fast schmerzlicher Intensität auf ihrem Gesicht.
»Du nicht?« Ihre Stimme klang jetzt tonlos, das Feuer in ihren Augen war erloschen, und aus irgendeinem unerfindlichen Grund weinte sie innerlich. Aber ihre Miene zeigte keinerlei Gefühlsregung.
»Manchmal, wenn... manchmal«, erwiderte er zögernd. Wenn er sich seine Liebe zu ihr eingestand und sich dann plötzlich wieder an ihre Tricks erinnerte, an die kalte Berechnung, mit der sie sich ihre Schönheit und Leidenschaft zunutze machte - das waren die Augenblicke, wo er sich wünschte, sie wären sich nie begegnet. Und dieses Bewußtsein lauerte immer dicht unter der Oberfläche, auch wenn er sich noch so sehr bemühte, es zu verdrängen.
Er ging aus dem Zimmer und schloß leise die Tür hinter sich.
Judith stand in der Mitte des Raums; ihre Tränen strömten nun lautlos über ihre Wangen. Wenn sie sich niemals kennengelernt hätten, wäre ihr dieser Schmerz erspart geblieben. Aber wiederum - wenn sie sich niemals begegnet wären, hätte sie auch nie erlebt...
Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche und putzte sich die Nase. Nicht mehr lange, und es stände ihr frei, ihn zu verlassen. Nicht mehr lange, und er würde seine betrügerische Ehefrau los sein. Nur - wie kam es dann, daß sie dieser Gedanke so unglücklich machte?
17. Kapitel
Bernard Melville war verwirrt und ratlos. Er verlor an Sebastian Davenport, kam aber nicht dahinter, wie es geschah. Sein Gegner spielte mit seiner gewohnten Sorglosigkeit, lässig in seinen Stuhl zurückgelehnt, die Beine lang unter dem Tisch ausgestreckt, ein Glas Cognac neben sich. Er lachte und scherzte mit denjenigen, die am Tisch stehengeblieben waren, um das Spiel zu verfolgen, schien oft recht unachtsam beim Abwerfen, und dennoch sammelten sich seine Punkte mit unbarmherziger Geschwindigkeit an.
Bernard hatte die erste Runde verloren, die zweite nur ganz knapp gewonnen und war kurz davor, die dritte zu verlieren. Die Verteilung der Karten schien relativ gleichmäßig, obwohl Davenport sich lachend gratuliert hatte, als er einen Blick auf sein Blatt warf, dreißig Punkte zahlte und eine Repique erklärt hatte. Doch der Earl wußte, daß seine eigenen Karten gewiß gut genug waren, um den anderen zu schlagen, wenn er gegen einen Gegner spielte, der weniger geschickt war als er selbst. Und Sebastian Davenport war ein nachlässiger, unerfahrener Spieler... oder?
Sebastian beobachtete seinen Gegner scharf. Gracemere war sich der Beobachtung nicht bewußt, da der andere ihn unter träge gesenkten Lidern unauffällig anschaute; Sebastian erriet jedoch ziemlich genau die Gedanken, die dem Earl durch den Kopf gingen. Sebastian überlegte, ob er eine Karte abwerfen sollte, von der sie beide wissen würden, daß er sie besser behalten hätte. Er würde die Runde verlieren, hatte allerdings einen Punktevorsprung und könnte das Spiel mit dem nächsten Blatt mühelos gewinnen, um da-nach den Gewinn knapp zu erhöhen. Seine Finger schwebten zögernd über den Karten, zwischen seinen Brauen stand eine tiefe Furche. Er griff nach seinem Cognac und trank einen großen
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