Bleib ungezaehmt mein Herz
verlieren er bereit war, um den äußeren Schein zu wahren. Er mußte schließlich seine Rolle beibehalten. Man hielt ihn für einen besessenen Spieler, der sich dennoch keine Gedanken um seine Verluste machte, und es würde sich schnell herumsprechen, wenn er sich ausschließlich auf Geschicklichkeitsspiele konzentrierte.
»Nun, ich nehme an, das ist deine Sache«, bemerkte Harry in einem Ton leichter Mißbilligung. Er warf einen Jeton auf den mit Filz bedeckten Tisch unter dem strahlenden Licht eines massiven Kronleuchters. »Aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe.«
»Das werde ich nicht«, versicherte Sebastian und plazierte ebenfalls seinen Einsatz. »Und wenn ich dir sage, du brauchst dir keine Gedanken um mich zu machen, dann meine ich es auch so, Harry.« Er hätte gerne mehr gesagt, um sich für die aufrichtige Sorge seines Freundes mit einem gewissen Maß an Vertrauen zu revanchieren. Freundschaft war eine gefährliche Sache. Bisher hatte Sebastian nur einen Freund gehabt - seine Schwester -, und sie waren beide damit zufrieden gewesen. Aber im Laufe der Monate hatte sich ihre Welt erweitert, und es war schwieriger geworden, unter sich zu bleiben. Und er würde sich selbst belügen, wenn er behauptete, er genösse diese neuen Beziehungen nicht.
Bald danach verließ er Watier's und machte sich auf den Weg zu der Soiree im Hartley House, wo er Harriet zu treffen hoffte, obwohl es schon nach Mitternacht war.
Judith saß am Makaotisch, als Sebastian das Kartenzimmer betrat, nachdem er festgestellt hatte, daß seine Angebetete eine Stunde zuvor von ihrer Mutter nach Hause gebracht worden war. Judith lächelte ihm flüchtig zu und konzentrierte sich dann wieder ganz auf ihre Karten. Sie wußte, daß ihr Bruder mit kritischen Augen zuschaute. Er würde ihr anschließend sagen, ob sie seiner Ansicht nach irgendwelche Fehler gemacht hatte, und er würde sogar in der Lage sein, jeden einzelnen Mißgriff detailliert aufzuführen, da er ein unfehlbares Gedächtnis für jede gespielte Runde besaß. Es war ein Dienst, den sie sich gegenseitig erwiesen, obwohl Judith unumwunden zugab, daß ihr Bruder der bessere Kartenspieler war.
Nachdem Sebastian das Spiel ein paar Minuten beobachtet hatte, nickte er Judith kurz zu zum Zeichen, daß sie gut spielte, und schlenderte dann weiter zu dem Tisch, an dem Judiths Schülerinnen spielten. Sally blickte auf, als er neben ihr stehenblieb, und schenkte ihm ein Lächeln, das Erstaunen über ihren Erfolg ausdrückte. Sebastian sah den beträchtlichen Stapel von Jetons auf ihrem Platz. Eine Weile schaute er zu; als sie dann eine schwache Karte ausspielte, riet er ihr leise: »Hören Sie lieber bald auf. Ihre Konzentration läßt nach.«
Sally errötete und wirkte gekränkt. Doch dann nickte sie stumm. Eine Minute später überließ sie ihren Platz einem der Zuschauer.
»Danke, Sebastian.«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Ursache. Diese Lektion ist ebenso wichtig wie jede andere - brechen Sie sofort ab, sobald Ihr Spiel schlechter wird.«
Cornelia, deren Spiel wild und unberechenbar war, konnte Sebastian kaum einen Rat geben. Manchmal grenzte es an Genialität, doch dann schien sie plötzlich alles Gelernte zu vergessen und spielte wie eine ausgesprochene Amateurin. Ihre Gewinne schwankten so stark wie ihre Spielweise, und Sebastian konnte ihr an keinem Punkt raten, aufzuhören, weil es einfach keine Gewißheit gab, daß sie die nächste Runde gewinnen würde.
»Wie mache ich mich?« fragte sie mit schrillem Flüstern und ließ dabei ihren Fächer fallen.
Sebastian hob ihn auf und erwiderte leise: »Schwer zu sagen. Wieviel wollen Sie gewinnen?«
»Zweihundert Guineas«, flüsterte sie in gleicher Lautstärke. Die anderen Spieler blickten von ihren Karten auf und funkelten sie verärgert an, und sie wurde rot vor Verlegenheit, holte ungeschickt mit dem Arm aus und stieß dabei ein Weinglas um. Ein Diener stürzte herbei, und in der allgemeinen Verwirrung murmelte Sebastian: »Lassen Sie mich Ihre Karten übernehmen.«
Cornelia stand auf, sich lautstark für ihre Tolpatschigkeit entschuldigend. »Ich bitte vielmals um Verzeihung, aber ich habe Weinflecken auf meinem Kleid. Oh, bitte nehmen Sie doch meinen Platz ein, Mr. Davenport. Vielen Dank!«
Sebastian zwinkerte ihr zu und setzte sich. »Wenn der Tisch keine Einwände hat.«
Es gab keine Einwände, und Sebastian erhöhte Cornelias Gewinn innerhalb einer halben Stunde um die erforderliche Summe. Cornelia und Sally
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