Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
die Karten schon im Vorverkauf geholt, denn es war wieder alles ausverkauft. ‘Illusion’ hat, obwohl es keine sehr glänzende Kritik hatte, mir doch ganz gut gefallen, es waren sehr lustige Einfälle und oft zum Lachen, nur geht der Schluß tragisch aus, und hat es mich da noch eine Krokodilsträne gekostet. Vor mir saß ein riesengroßer Mann, so daß ich mich immer mal auf meine Tasche setzen mußte damit ich ein bißchen höher kam. Fast die ganze Vorstellung hat unser ‘Kommender’ rumort, es war wirklich böse, weil es nicht mit sehen konnte. Aber der Film war doch nicht jugendfrei. Den Bewegungen nach muß es ganz hübsch energisch werden, denn auch gestern im Bett und auch heute hat es mir auch schon Guten Tag gesagt. Ach, kommender kleiner Vati, ich freue mich doch sehr darauf, auch wenn es der ‘Schrecken der Steubenstraße’ wird! Aber ganz darfst Du mir mein erzieherisches Talent nicht absprechen. Ich entwickle mich vielleicht zu einer Muster-Mutti. Oder willst Du das vielleicht bezweifeln?
Heute haben wir bis ¼ 12 Uhr im Bett gelegen, kannst Du Dir das vorstellen? Aber es war so enorm kalt hausen, daß es einem graute aufzustehen. Sind dann mit Mutter in den Ratskeller essen gegangen. Kalbsniere und Selleriesalat. Dann habe ich mich hingelegt und Grete hat geschrieben und jetzt ist es umgekehrt. Mutter ist zu Elli raus, denn sie hatte angerufen, daß sie einen so schweren Anfall gehabt hat, daß sie sich das Gesicht aufgeschlagen hat und nun nicht kommen kann. Mit Vater steht es auch gar nicht gut. Er tut mir wirklich sehr leid, wie er so gleichgültig und teilnahmslos daliegt. Gestern war er in der Klinik. Aber ich will da der Mutter nicht vorgreifen, denn sie will Dir heute Abend schreiben. Es ist bestimmt jetzt nicht leicht für Mutter, aber da kommt bestimmt auch mal wieder eine Zeit, wo es ihr gut gehen wird, denn verdient hat sie es mehr wie sonst wer. Nun laß den Kopf nicht hängen, kleiner Mann, immer guten Mut und Kopf oben, und wenns mal schwer wird, denk an unser kommendes Kind, das muß einen doch bestimmt wieder hochreißen. Ich bin auch ganz zuversichtlich, und das ist bestimmt keine leere Redensart.
Nun will ich für heute Schluß machen. Hast Du denn meine Karte und Brief erhalten? Von Grete soll ich Dich herzlich grüßen. Und nun bleib gesund und nimm viele liebe und herzliche Grüße und ein paar “Süße” von
Deinem Robert.
Stolpemünde, den 22.1. 1942
Meine liebe kleine Lenimaus!
Das war eine große Freude, als ich gestern Deinen lieben Brief bekam und danke ich Dir recht vielmals dafür. Du glaubst gar nicht, wie ausgehungert ich auf einen ausführlichen Brief von Dir war und habe ich ihn vielleicht schon fünf- bis sechsmal gelesen. Heute vor einer Woche bin ich von Dir weg, kleiner Hase, und hast Dich an der Bahn sehr tapfer gezeigt. Es hilft ja alles Kopfhängen nichts und manchmal bin ich sehr froh, dass man hier so wenig Freizeit hat, denn dann kommt man nicht auf dumme Gedanken. Ja, kleiner Hase, am Anfang des Urlaubes habe ich auch gedacht, 16 Urlaubstage welch lange Zeit, und wie schnell sind sie doch vergangen. Wie es mir inzwischen ergangen ist, habe ich Dir ja in meinen letzten zwei Briefen geschrieben und daran hat sich bis heute noch nichts geändert. Sei nicht traurig, dass Dein Daumendrücken keinen Erfolg hatte, das nächste Mal hilft es bestimmt. Auch ich rechne nun schon auf den nächsten Urlaub und den wollen wir wieder recht schön zusammen verleben. Noch schöner wäre es natürlich, wenn ich für immer nach Hause könnte. Aber der siebenjährige Krieg hat auch mal sein Ende gefunden und einmal kommt auch für uns der Tag. Die Fahrt nach Berlin war sehr interessant, denn die Dame im Pelzmantel, vielleicht erinnerst Du Dich an sie, hatte eine Farm in Afrika gehabt und konnte sehr gut erzählen. Der Leutnant schloß das Fenster erst auf Anweisung eines Schaffners und dabei sagte er mir: “Scheusslich, das Abfahren für beide Teile, das wieder Wegfahren könnte einem den ganzen Urlaub verleiden.” Er bot mir eine Zigarette an und war wirklich sehr kameradschaftlich. In Bitterfeld stieg dann eine Mutter mit zwei kleinen Kindern zu und hatten wir bis Berlin reichlich zu tun. Mein Platz war auch frei, denn der Unteroffizier, der darauf sass, hatte schon einen Platz. Aber jede freie Minute habe ich an zu Hause gedacht und war, wie Dir schon geschrieben, ziemlich niedergeschmettert. Na, dass muss eben überstanden werden obwohl ich noch
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