Bleib uns gesund und behalt uns lieb 01: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
meiner Tinte los ist, als habe sie die Bleichsucht. Hoffentlich kannst Du es lesen.
Für heute will ich aber mal wieder schließen. Dienstag an Muttis Geburtstag werde ich viel an Dich denken und grüße Dich für heute recht herzlich und auch einen feinen Kuß von
Deiner Leni und Heidi
Leipzig, den 17.11. 1943
Mein lieber alter Strolch!
Heute habe ich wieder vergeblich auf Post von Dir gewartet. Meine Post mußt Du doch alle erhalten haben. Wenn nicht, weiß ich auch nicht, woran das liegt. Jedenfalls hatte ich Dir regelmäßig geschrieben. Am Sonntag oder Montag, als Mutter weg war, dann am Mittwoch, d. 10.11, am Sonntag den 14.11. und nun heute. In einem der ersten beiden Briefe hat die Abrechnung gelegen mit den 58 M für Zwiebeln, Äpfel und Express. Es ist durchaus nicht so, daß ich bei Mutters Abwesenheit keine Zeit zum Schreiben hatte. Eine Stunde zum Schreiben an Dich werde ich auch bei vieler Arbeit haben. Siehst Du, als ich Dir mal schrieb, daß Deine Briefe früher anders waren, wolltest Du das nicht wahr haben. Es ist aber so, daß, wenn mal ein Brief von mir nicht pünktlich ankommt, Du nicht weißt, was Du mir schreiben könntest, und so nur ein kurzer oder gar kein Brief ankommt. Na, genug davon, ich hoffe jedenfalls, daß nun alle Briefe pünktlich bei Dir eingegangen sind.
Am Montag kam eine Karte, daß ich ein Paket abholen sollte, und bin ich gleich nach dem Hauptbahnhof rein. Von dort schickte man mich aber nach dem Plagwitzer Bahnhof, worüber ich wirklich nicht böse war, denn am Hauptbahnhof hätte man wieder sehr lang warten müssen. In Plagwitz konnte ich dann die Zwiebeln und Äpfel in Empfang nehmen und danke ich Dir wieder recht herzlich dafür. Das Butterpaket kommt hoffentlich auch in nächster Zeit an. War es nicht ein bissel leichtsinnig, es als Express wegzuschicken, nachdem wir schon einmal ein wertvolles Paket so eingebüßt haben? Ich trau der Bahn nie richtig, denn auch die Äpfel und Zwiebeln waren oben aufgerissen, so daß man reinlangen konnte. Na, hoffen wir das Beste, und daß es wohlbehalten bei uns ankommt. Genug Lauferei hast Du jedenfalls damit gehabt, und können es die anderen gar nicht einsehen, wie schwer es für Dich ist und wie Du Dich abplagen mußt. Am Montag Nachmittag bin ich dann mit Heidi in die Stadt um Blumen für Mutti zu bekommen, leider erfolglos, so daß wir leer wieder heimgekommen sind. In der Straßenbahn war Heidi so lebhaft, daß eine Frau sich aufgeregt hat, daß die Straßenbahn doch kein Kinderspielplatz sei. Mich stört so was nicht, denn die Frau hat sicher selbst keine Kinder. Am Abend habe ich dann wieder einen Teil Strümpfe weggestopft, und gestern den anderen Teil. Gestern im Laufe des Vormittags sind dann Heidi und ich zum Geburtstag gestiegen mit ganz leeren Händen. Nur einen ganz kleinen Blumentopf hatte ich mit Mutter zusammen erhalten, dazu habe ich ein Pfund Zucker geopfert und zwei Lot Bohnenkaffee. Am Mittag waren wir zum grüne Bohnen essen eingeladen, was mal wieder ein Genuß war, da es was anderes war. Um 4 Uhr kam Mutter Heidi abholen, und später Frl. Fuhrmeister und Lisa. Das war der ganze Besuch. Mit der letzten 5 vor 8 bin ich jedenfalls wieder heim gefahren. In der Straßenbahn hatte ich ein Erlebnis, was mich ein bißchen mitgenommen hat. Es saß da eine junge Frau mit einem ungefähr fünfjährigen Jungen, der es sehr schlecht war. An der Jahnstraße stiegen sie auch aus, und die Frau war kaum unten, als sie umfiel. Ich habe sie dann mit noch einer anderen Frau nach Hause gebracht, auf dem Wege kippte sie noch ein paar mal um. Der kleine Junge tat mir sehr leid, denn er weinte immerzu ganz laut “Meine gute Mutti”. Mir brachte es zum Bewusstsein, wie wir die Schuldigkeit haben, uns für unsere Kinder gesund zu erhalten, was sollten sie wohl so klein ohne uns anfangen? Frau Kürbis saß oben bei uns und habe ich dann bis nach 11 Uhr noch Strümpfe gestopft. Heute war ich wieder mal beim Zahnarzt und bin ich nun gottlob mal wieder fertig. Jetzt soll ich nun zwei Stunden nichts essen, die ich z.T. gleich zum Schreiben genommen habe. Jetzt ist die Zeit aber rum, und werde ich mich dann gleich auf meine Möhren stürzen. Es ist ein Elend mit dem Gemüse. Auf den Kopf die Woche ein Pfund, ob Möhren, Kraut oder Kohlrüben ist gleich. Nun noch diese Knappheit mit den Kartoffeln, kann ja heiter werden, und will ich froh sein, wenn der Winter vorüber ist. Nun habe ich ein ganz schlechtes Gewissen. Ich
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