Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
juckt das natürlich auch. Aber sonst ist unser Kerlchen mobil und hat auch Appetit. Heute hat sie Dir wieder einen Brief geschrieben, er wird jetzt schon länger, sie schreibt: “Lieber Vati! Schick mir doch bitte einen Roller, und ein Rad und einen Brief!” Sie malt dann auf einen Zettel und liest das laut vor sich hin. Sie kommt jetzt ins Spielalter und spielt oft sehr schön. Kannst Du Dich noch an die schwarze ... erinnern, die Du mal zu einer Silvesterfeier bei Spreewitzens aufgehabt hast? Den hat sie jetzt immer beim Wickel, und wenn sie den auf hat, sagt sie: “Heil Hitler”, sonst nicht, aber gelernt habe ich ihr das bestimmt nicht. Sie sieht treu aus in dem Deckel, und wenn es nicht zu finster im Raum wäre, würde ich sie mal knipsen. Bei uns ist jetzt immer noch mieses Wetter, sehr viel Regen. Vater kommt dann auch erst am 17. zurück. Mutter sollte unbedingt hinkommen. Vater hatte ihr schon eine Reiseerlaubnis geschickt. Aber sie will durchaus nicht und da kann man nichts machen. Aber verstehen tue ich das nicht. Weißt Du, kleiner Mann, daß Deine Frau auch strickt? Ich habe jetzt für Heidi ein Paar Ärmel in den blauen Pullover gestrickt, nun kommt eine Mütze dran, dann Handschuhe und ein Höschen. Es fleckt sogar und macht mir auch Spaß. Aber ein Buch möchte ich auch gern mal wieder lesen und dazu komme ich gar nicht mehr. Im Kino spielen sie jetzt ‘Frau meiner Träume’ mit Marika Röck und will ich da unbedingt mal reingehen und warte auch nicht, bis es haußen ist, da leiste ich mir schon mal Kapitol. Warst Du denn mal wieder im Kino? Bei einer Dienstreise klappt es wohl auch nicht? Warst Du denn nun diese Woche in Paderborn? Vielleicht gelingt es Deiner Überredungskunst doch eine Thüringer Dienstreise rauszuholen. Kleiner Mann, Du weißt ja gar nicht, was ich für große Sehnsucht nach Dir habe. Fünf Jahre Krieg und fast immer allein ist doch ein bissel viel, und kommt man sich so hilflos und einsam vor, und da können noch so viele Menschen da sein, es bringt doch nicht darüber hinweg. Meine Gedanken sind sehr viel bei Dir. Hoffentlich geht es Dir die letzte Zeit des Krieges immer so halbwegs gut, und können wir uns gesund wiedersehen. Wenn man das 100 Prozent wüßte, wäre alles viel leichter. Du verstehst mich schon, ich bin nicht pessimistisch, aber es kann einem doch oft bange werden.
Und nun Dir in Gedanken einen lieben Kuß und viele herzliche Grüße für heute
Deine Lenifrau und Heidikind.
Leipzig, den 8.11. 1944
Mein lieber alter Strolch!
Ein Brief zur Beantwortung liegt noch nicht vor, aber es ist schon wieder Zeit zum Schreiben, und sicher wirst Du wieder auf ein Lebenszeichen von uns warten. Du wolltest doch vergangene Woche nach Paderborn, und hatte ich da eigentlich ganz fest auf einen Brief gerechnet. Leider war es nichts geworden. Hatte sich die Reise für Dich zerschlagen? Und wie steht es mit der Reise nach Thüringen, haben wir da Hoffnung? Jetzt ½ 3 Uhr kommt eben die Post (durch Alarm so spät). Ein Brief von Dir ist wieder nicht dabei. Dafür eine Paketkarte über acht Kilogramm. Gestern habe ich schon das Butterpaket bekommen. Recht vielen Dank dafür, kleiner Mann. Wir haben uns so darüber gefreut, daß es bald wie Weihnachten für uns war. Mutter ein Pfund, Mutti ein Pfund, Lisa und Erika je ein Viertelpfund, und eineinhalb Pfund behalte ich. Jetzt, wo alles so sehr knapp ist, freut man sich doppelt darüber. Ich habe heute nun auch vom Arbeitsamt Nachricht bekommen, und muß ich am Dienstag dorthin. Mir graut ein bißchen, und werde ich meine ganze Überredungskunst dabei anwenden. Allerdings glaube ich kaum, daß ich Erfolg damit habe. Halte ein bissel den Daumen mit für mich, kleiner Mann. Heute war ich auch mit Heidi im Rathaus zum Impfen. Eigentlich hatte ich ein bissel Furcht davor. Aber es war gar nicht schlimm. Manche Kinder brüllten fürchterlich, unser Kerlchen aber hat keinen Mucks gesagt, es ging auch alles ganz rasend schnell. Auf der Rückfahrt sind wir am Palmengarten ausgestiegen, weil ich meine Theaterkarten in der Bismarckstraße umtauschen wollte. Aber noch ehe wir hinkamen, kam Voralarm, und haben wir da gleich wieder kehrt gemacht. Wir hatten Glück und sind gerade noch mit der 8 bis zur Jahnstraße gekommen, als Alarm kam. Zu Hause war Mutti gerade da, und sind wir alle in den Keller. Es sah anfänglich für uns schlimm aus, denn starke Verbände waren da, und hielten Kurs auf unsere Stadt, und waren auch
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