Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
und grüße und küsse Dich und freue mich schrecklich auf ein Wiedersehen.
Deine Leni.
Viele Grüße vom Kerlchen. Sie hat sich sehr über Deinen Brief gefreut und schreibt Dir morgen selber.
Nr. 1Nienburg, den 3.3. 46
Meine liebe kleine Lenifrau!
Nun bin ich seit heute früh 2 Uhr hier wieder in Nienburg und will Dir gleich ausführlich über meine Rückreise berichten, denn das wird Dich ja sicherlich interessieren. Von Göttingen aus wollte ich Dir und dem Helenchen gleich telegrafieren, aber man nahm keine Telegramme an, so dass ich Dir und auch dem Helenchen gleich eine Karte geschrieben habe, die Ihr hoffentlich schon erhalten habt.
Auf dem Bahnhof brauchte ich nicht lange auf Erie und Vater zu warten und sind wir gleich auf den Bahnsteig rauf und da der Zug schon da stand, haben wir uns Platz gesucht und auch noch Sitzplätze ergattert. Dann bin ich wieder raus, um den Rolf Heyer und seine Begleiterin zu suchen, die ich auch am ausgemachten Treffpunkt vorfand. Der Beginn der Reise war nicht übel, aber schon in Halle kam die Enttäuschung Nummer eins in Bezug Wartesaal. Übervoll und dazu ein Mief, dass es kaum zum Aushalten war. Bei jedem Schritt, den man machte, musste man gewärtig sein, einem Mitmenschen auf den Kopf, Bauch, Beine oder sonstige Gliedmassen zu treten. Wir hatten insofern Glück, dass wir noch etwas Platz fanden und uns auf unserem Gepäck niederlassen konnten. Ab und zu machte man mal ein kleines Nickerchen, aber man war froh, als es ¼ 5 Uhr war und es nach dem Bahnsteig ging. Nach 15 Minuten wurde dann auch der Zug reingelassen und erwischten wir vier gute Sitzplätze. Ich habe dann ziemlich bis 10 Uhr geschlafen, Erika auch, aber nicht so lange; wenn alles so weitergegangen wäre, wäre es auch zu schön gewesen und so kam Enttäuschung Nummer zwei in Leinefeld. Als wir dort hielten, hieß es auf einmal ‘Alles aussteigen und vom Bahnsteig herunter’. Und siehe da, große Ausweis- und Fahrkartenkontrolle. An der Sperre stand da ein Russe, ein Polizist und ein Bahnbeamter. Wer keine polizeiliche Anmeldung vorweisen konnte, kam nicht durch. Da ich mich mit meinem alten Reisepass nicht recht traute, blieben wir erst etwas zurück und schlug ich vor, die restlichen 16 Kilometer bis Heiligenstadt zu laufen. Erie wollte es aber trotzdem versuchen, dann wurden wir im Gedränge auseinander gerissen und blieb ich solange, bis ich annahm, dass Erie durchgekommen wäre. Es waren nicht mehr viele Leute an der Sperre, als wir aus dem Bahnhof gingen und knobelten wir herum, was nun zu tun sei und rollten schon den Entschluss, wieder heimzufahren, zumal ja die Kontrolle überraschenderweise sehr scharf war. Zuerst sind wir aber erst einmal eingekehrt und bekamen eine fabelhafte Fleischbrühe und dazu Deine Bemmchen, das musste ja die müdesten Geister wieder erfrischen. Bei der Unterhaltung mit einem älteren Herrn wurde uns empfohlen, bis Heiligenstadt zu laufen und von dort über Mengelrode über die Grenze zu gehen, also genau, also genau, wie der Vater des Röthaers uns geraten hat, allerdings sollten wir mit einem Führer gehen. Halb vier Uhr machten wir uns auf die Socken; die Straße war vereist und verschneit und war es ein mühseliges Laufen und dabei kein Auto, das einen mitnahm. Du weißt ja, dass ich kein grosser Freund von Märschen bin und war ich froh, als wir durchgeschwitzt bis aufs Hemd ¼ 7 Uhr in Heiligenstadt eintrafen. Nur gut, dass wir Erie mit ihrem Koffer nicht mithatten, das wäre eine nette Schlepperei geworden. Nun hiess es, Erie zu treffen und bin ich gleich nach der Flüchtlingsstelle gegangen und wollte sehen, ob sie sich dort hatte registrieren oder zum übernachten einschreiben lassen. Als ich noch nach ihr bei einem Auskunftsmenschen fragte, stand ein Herr da und sagte mir, dass sie nach dem Bahnhof gerade gegangen wäre um nach mir zu sehen. Ich gleich rüber und traf ich sie im Wartesaal und war froh, dass es so geklappt hatte. Dann erzählte mir Erie, dass auch sie nicht mitgekommen wäre, sondern an der Sperre nicht durchgelassen wurde, da die polizeiliche Abmeldung fehlte und bis zum Abgang des Zuges im Wartesaal 2. Klasse zurückgehalten wurde. Da sie mich nicht mehr dann sah, nahm sie an, dass ich trotzdem mit dem Zug fort wäre und wollte sie mit noch zwei Herren bis zur nächsten Bahnstation laufen und von dort dann versuchen, mit dem Zug später wegzukommen. Nach drei Kilometer Marsch hätten sie dann mit einem LKW mitfahren können. Wir
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