Bleib uns gesund und behalt uns lieb 02: Briefe und Feldpostbriefe einer deutschen Familie 1928 bis 1946
haben dann noch ¼ Stunde gewartet und sind dann über eine vereiste, aber kürzere Straße nach Mengelrode gelaufen, wo wir ziemlich erschöpft ankamen. Trotzdem Eries Koffer nicht gerade schwer war, wurde er durch die Länge des Weges doch zur Last und haben Erie und ich ihn zuerst abwechselnd getragen und dann gemeinsam, es war jedenfalls keine angenehme Lauferei. Um 8 Uhr waren wir in Mengelrode und mussten erfahren, dass der Führer vor einer halben Stunde über die Grenze gegangen wäre. Bei der Dunkelheit, dem Schnee und verwehten Wegen, sowie unserer völligen Unkenntnis der Gegend war es ein irrsinniges Beginnen, ohne Führer los zu traben und so beschlossen wir bis zum nächsten Abend zu warten. Viel Glück hatten wir mit der Uebernachtung, da ein Zimmer mit zwei Betten vorhanden war und die angemeldeten Gäste bis ½ 11 Uhr nicht kamen, sodass wir es bekommen konnten. In der Zeit bis zum Schlafengehenkamen verschiedene Grenzgänger von der englischen Zone. Zuletzt kam einer, seine ‘Mitgänger’, 19 Mann, hatten die Russen geschnappt, also war es doch nicht so einfach, wie es der Röthaer angesehen hatte. Am anderen Tage hatten wir schwer Kohldampf schieben müssen, denn unser Vorrat war alle und zu kaufen gab es nichts, aber die Wirtin machte uns mittags etwas Kartoffelmus und abends paar Salzkartoffeln. Geschlafen haben wir gut, trotzdem es sehr kalt war. Ueber Nacht schneite es ganz schön, sodass ich sehr schwarz sah. Am Freitag Abend sind wir dann, unser acht mit Führer los; alle Wege waren hoch verschneit und nach einer Stunde wusste der Führer nicht, wo wir waren. Wir umgingen dann ein Dorf und kamen auf eine Strasse, von der niemand wusste, wo sie hinführte. Als wir auf ihr einen Kilometer lang gelaufen waren, standen am Strassenrand zwei Baubuden, die zwar nicht beleuchtet waren, aber es roch stark nach Rauch und zwanzig Meter weiter standen wir auf einmal vor einem Postenhäuschen und Schlagbaum. Wir drumherum gegangen und dann sahen wir auf einmal ein Haus mit grossem Fenster, das war entweder die russische oder englische Wachstube. Man sah hinter dem Fenster in einem erleuchteten Raum Personen sich bewegen und sind wir gleich von der Strasse nach links herunter über die Felder und nach einer dreiviertel Stunde über Felder und Wiesen kamen wir auf ein grosses Gut, was das Ziel des Führers war und waren damit in der englischen Zone. Noch eine Viertelstunde laufen und wir waren in Bremke in einer primitiven Uebernachtungsbaracke, nass, müde und kaputt. Dreieinhalb Stunden Marsch, dazu hatte ich immer mit Eries Koffer getragen, während sich Erie und Rolf auf der anderen Seite abgelöst hatten. Für den Führer haben wir zu dritt M 25.– bezahlt, er war damit zwar nicht recht zufrieden, aber mehr haben wir ihm nicht gegeben.
Mit dem ersten Bus früh ½ 6 Uhr kamen wir nicht mit und war Erie vielleicht etwas verschnupft über mich, als ich nicht mit ihrem Vorschlag einverstanden war, nach Göttingen die 16 Kilometer rein zu laufen und unterwegs zu versuchen, mit einem Laster mitzukommen, aber ich war tatsächlich fertig auf den Beinen. Um 7 Uhr mit dem zweiten Bus war es auch wieder nichts, als wir von einer Zugmaschine mitgenommen wurden. Nach drei Kilometer Fahrt mussten wir herunter und sollten wir eine halbe Stunde warten, dann ginge es weiter. Da stand in der Nähe ein Bus und diesmal klappte es, wir kamen mit, aber als wir in Göttingen kurz nach 10 Uhr ankamen, war nicht nur der 8 Uhr Personenzug, sondern auch der Eilzug 9.56 Uhr weg. Eries Barometer stand auf Sturm und die bekannten zwei Sturmfalten auf der Stirne sagten mir genug. Ich verstand es ja sehr gut, dass sie so schnell wie möglich zu Heinz wollte und es dadurch, dass der Zug erst 4 Uhr fuhr, sehr spät mit ihrer Ankunft in Holtensen wurde, war aber trotzdem mehr als erschlagen, als sie sagte, wir wollten versuchen, mit Trampen eher fortzukommen. Da habe ich mich dagegen gewehrt, denn ich war ziemlich fertig und hat sie mir das vielleicht übel genommen. Ich schlug ihr vor, von Göttingen aus Heinz anzurufen, dass er sie in Elze abhole, aber es war nicht mit ihr zu reden, sodass ich ihr eben den Willen lassen musste. Ich bin dann mit ihr ein Stück gegangen und dann ist sie mit einem Bus bis zum nächsten Ort gefahren und wollte sie mir gleich schreiben, wie sie nach Holtensen gekommen ist. Ich mache mir jetzt Vorwürfe, dass ich sie habe allein losziehen lassen, aber mit meinen kaputten Füssen wäre das eine weitere
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