Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
glauben!
Ihre Haut sah fast normal aus.
Nur wenige kleine Bläschen, keine nässenden Wunden, allenfalls war sie ein wenig heller als zuvor, aber das mochte auch an dem fahlen Licht liegen.
Beinahe hätte sie gelacht vor Freude. Sie spürte neue Energie in sich, hatte ein zweites Leben, eine zweite Chance bekommen. Und sie würde nicht hier liegen bleiben und warten, bis er wiederkam.
Warum kam er nicht?
Am Telefon hatte er es ihr doch versprochen, aber das lag jetzt schon eine Stunde zurück.
Seit sechzig Minuten war sie bereit. Sie hatte alles so arrangiert, wie sie es zu brauchen glaubte, hatte alles doppelt und dreifach überprüft und sich immer wieder gefragt, ob er darauf hereinfallen würde. An dieser Stelle ihrer Überlegungen war Nicola sich nicht sicher. Doch eigentlich spielte das auch keine Rolle mehr. Mit dem, was sie vorhatte, setzte sie alles auf eine Karte, und so oder so würde ihr Leben, wie sie es die letzten Jahre gelebt hatte, ein Ende finden.
Doch dazu musste er herkommen.
Dazu musste er ihr größtes Geheimnis erfahren.
Vor zwei Jahren waren sie zum ersten Mal gemeinsam bei ihrem Gynäkologen Dr. Dillenburg gewesen. Dass es mit der Schwangerschaft nicht klappte, konnte nach der Auffassung ihres Mannes nur an ihr liegen, deshalb war es nicht in Frage gekommen, dass er sich untersuchen ließ.
Er hatte ihre Hand gehalten und sie fürsorglich angesehen. Darin war er immer gut gewesen, und Dr. Dillenburg musste geglaubt haben, er sei ein besonders liebevoller Ehemann.
Aber als der Doktor begonnen hatte, ihnen seine Diagnose zu erklären, war sein Griff fester geworden, zum Ende hin sogar schmerzhaft, bevor er ihre Hand abrupt losgelassen und seine eigene an seiner Hose abgewischt hatte. Nicola hatte zu ihm hinüberblickt, nur kurz, aber es hatte gereicht, um zu sehen, welchen Abscheu er in diesem Moment empfand.
Dr. Dillenburg vermutete eine verschleppte Infektion, machte ihnen gleichzeitig aber Hoffnung, dass es durch eine Behandlung mit der Schwangerschaft irgendwann doch klappen würde.
Sie hatten es versucht, doch geklappt hatte es nicht. Seitdem waren sie regelmäßig beim Gynäkologen gewesen, erst vor zwei Monaten wieder. Ihr Mann hatte sie stets gefahren und im Wartezimmer neben ihr gesessen, doch in den Behandlungsraum war er nie wieder mitgekommen. Deshalb hatte er auch nicht alles erfahren, was Dr. Dillenburg durch einige Folgeuntersuchungen herausgefunden hatte. Deshalb wusste er nichts von der großen Chance, die sie ihm verweigerte, seitdem sie selbst davon wusste. Natürlich hatte sie das Schreiben in keinem ihrer privaten Ordner eingeheftet, denn dort hätte ihr Mann es irgendwann entdeckt. Nein. Das vergangene Jahr hatte der Brief zwischen Bild und Rückwand des Rahmens der Kopie von van Goghs Sonnenblumenfeld verbracht, die im Wohnzimmer über der terrakottafarbenen Couchlandschaft hing.
Die Worte und Sätze darin würden ihm das Herz brechen.
Vor allem aber würden sie ihn in Raserei versetzen.
Und darin sah Nicola ihre Chance.
Miriam rollte sich in die Mitte des Beckens, blieb dort auf dem Bauch liegen, hob den Kopf in den Nacken und sah sich um. Die blau gekachelten Wände des Schwimmbeckens waren mehr als zwei Meter hoch und völlig glatt, ohne Kanten oder Vorsprünge. Es gab auch keine Nichtschwimmerzone, in der der Abstand zwischen Beckenboden und oberem Rand nicht so hoch gewesen wäre. Ebenso wenig gab es eine Leiter. Selbst wenn sie nicht gefesselt gewesen wäre, hätte sie es nur mühsam geschafft, aus dem Becken zu entkommen – mit auf dem Rücken gefesselten Händen war es unmöglich.
Sie musste Hände und Füße frei bekommen.
Wenn sie sich mit den Beinen abstoßen und springen würde, könnte sie sich aus dem Becken herausziehen. Die Kraft dafür hatte sie. Im Training schaffte sie elf Klimmzüge, mehr als jede andere Frau.
Aber wie sollte sie die Kabelbinder durchbekommen? Hier unten gab es nichts, was sie dazu hätte nutzen können.
Miriam zerrte abermals daran und bewegte ihre Hände hin und her, doch die Plastikriemen gaben keinen Millimeter nach. Sie schnitten sich nur noch weiter in ihr Fleisch und verursachten brennende Schmerzen.
Mit Tränen in den Augen nahm Miriam rechts von sich einen hellen Lichtreflex wahr und sah genauer hin. Es war ein silbriges Funkeln direkt im Boden genau in der Mitte des Beckens. Sie robbte darauf zu. Es dauerte eine ganze Weile und tat ihrer immer noch empfindlichen Haut höllisch weh, so über die
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