Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
tapste um einen großen, dreckigen Altschneeberg herum und reichte Dr. Sternberg die Hand.
»Finde ich wirklich sehr nett, dass Sie extra für mich hergekommen sind.«
Die Psychologin lächelte spitzbübisch. »Sie bezahlen das Frühstück, oder?«
»Na klar.«
»Dann haben wir ja beide etwas davon.«
Sie traten aus dem eisigen, spürbar stärker gewordenen Wind in das Café, das zu dieser Tageszeit gut besucht war und in dem ein entsprechender Geräuschpegel herrschte. Außerdem war es sehr warm und roch nach Menschen, die in ihrer dicken Winterwäsche schwitzten.
Sie fanden einen freien Tisch in der Ecke, auf dem noch das gebrauchte Geschirr der Vorgänger stand. Beide Frauen zogen ihre Mäntel aus, hängten sie über die Stuhllehnen und setzten sich.
»Nett hier«, befand Dr. Sternberg. »Mir gefällt die lebendige Atmosphäre.«
»Freundliche Umschreibung für den Lärm«, sagte Nele. »Vielleicht hätten wir doch lieber in mein Büro …«
»Ach was«, unterbrach die Psychologin sie. »Das stört doch überhaupt nicht.«
Robertas Gehilfe, ein junger Italiener namens Matteo, kam, räumte das Geschirr ab und nahm ihre Bestellung auf. Sie entschieden sich beide für das kleine Frühstück mit Kaffee bis zum Abwinken – genau so stand es auf der Menükarte.
»Sie sind das ganze Wochenende hier?«, versuchte Nele das Gespräch unverfänglich in Gang zu bringen. Noch immer hatte sie ein wenig Angst davor, endlich zu tun, was sie schon so lange vor sich herschob.
»Ja. Ich habe noch ein paar alte Freunde aus Akademiezeiten hier in der Stadt. Da nutze ich die Gelegenheit, sie alle zu besuchen.«
»Sie leben aber in Wiesbaden, oder?«
Dr. Sternberg nickte. »Ich kann nicht behaupten, dass es mir als waschechte Norddeutsche mit friesischen Wurzeln dort besonders gut gefällt, aber für die Arbeit im BKA ist es so natürlich praktischer.«
»Aber die OFA hat doch auch Länderteams.«
»Schon, aber mein Dienstposten ist der Zentrale angegliedert. War nicht anders möglich, da die anderen sechs Psychologenstellen in den Ländern schon besetzt waren. Ist aber in Ordnung. Die Arbeit gefällt mir gut. Man kommt viel herum.«
Nele nickte etwas gedankenverloren. »Ich habe auch schon mal mit der OFA geliebäugelt«, sagte sie.
Dr. Sternberg hob die Brauen. »Haben Sie sich beworben?«
»Nein. Das war nur so ein Gedanke. Es interessiert mich halt sehr, was Sie dort tun.«
»Dann bewerben Sie sich doch!«
»Ach, ich weiß nicht … Und so schnell komme ich hier auch nicht weg.«
»Was heißt schnell. Bevor die Bewerbung durch ist und Sie durch die verschiedenen Auswahlverfahren gegangen sind, vergeht mindestens ein Jahr. Erst dann wird es ernst mit der Ausbildung und allem.«
»Und wie lange dauert die Ausbildung?«
»Bis Sie polizeiliche Fallanalytikerin sind, vergehen weitere fünf Jahre.«
»Fünf Jahre! … Das ist eine lange Zeit«, sagte Nele und war von der Dauer der Ausbildung wirklich überrascht.
Dr. Sternberg nickte. »Wenn Sie sich wirklich dafür interessieren, dürfen Sie es nicht auf die lange Bank schieben. Sie sind im richtigen Alter und haben die nötige Erfahrung.«
Nele überlegte einen Moment. »Mal sehen«, sagte sie dann.
Dr. Sternberg legte den Kopf schräg und betrachtete sie. »Das ist aber nicht der Grund für unser Treffen heute. Ihnen liegt etwas ganz anderes auf dem Herzen, oder?«
Nele nickte. Jetzt, wo sie damit heraussollte, fehlten ihr die Worte, und sie kam sich albern vor, überbesorgt, wie eine Glucke. Wahrscheinlich würde die Psychologin ihre Bedenken einfach fortwischen und sauer sein darüber, ihre Zeit für solchen Kram geopfert zu haben. Es war ja auch noch gar nichts passiert – und vielleicht würde es das auch nie.
Vielleicht!
»Hat es mit der Soko Schranke zu tun?«, fragte Dr. Sternberg.
Nele sah sie an und nickte. »Eigentlich geht es um meine Partnerin … Anouschka Rossberg.«
»Sie wurde damals von dem Täter entführt, richtig?«
»Es wundert mich, wie gut Sie sich mit dem Fall auskennen.«
»Das muss Sie nicht wundern. Sie wissen ja selbst, Fälle dieser Art sind höchst selten, und natürlich hat sich herumgesprochen, was passiert ist. Das war, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, ein Ritt auf der Rasierklinge damals. Wie lange liegt es jetzt zurück?«
»Ein Jahr.«
»Und die Wunden sind noch nicht verheilt.«
Nele schüttelte den Kopf. Sie war überrascht, wie einfach und schnell sie zum Kernpunkt des Gesprächs gekommen waren.
Weitere Kostenlose Bücher