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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Wovor?«
    »Ihr PC verfügt über eine Webcam, eine kleine Videokamera, die Bilder direkt ins Internet überträgt. Daniela hat bestimmte Chatrooms aufgesucht und sich dort für ihre Gesprächspartner ausgezogen.«
    Die folgende Stille gewährte der Standuhr im Wohnzimmer ihren großen Auftritt: Sie tickte überlaut.
    »Nein!«, stieß Elke Gerstein aus, aber Alex konnte das »Ich hab’s ja gewusst« dahinter hören.
    Er ließ sie nicht aus den Augen. Die Frau war plötzlich noch blasser geworden als ohnehin schon und sackte nun in sich zusammen. Sie zeigte keine Abwehrreaktion, kein Aufbegehren gegen die Wahrheit.
    Unvermittelt stand sie auf und verließ das Wohnzimmer. Alex hörte, wie sie sich in der Küche die Nase schnäuzte. Nach zwei Minuten kehrte sie zurück. Nase und Augen waren gerötet, und sie versuchte gar nicht erst, ihre Tränen zu verheimlichen.
    »Ich habe so etwas befürchtet«, sagte sie leise.
    »Aus einem bestimmten Grund?«
    Ihr Blick glitt ins Leere ab. »Daniela war viel … freier und … na ja, wilder, als mein Mann und ich es je waren. Als Eltern versucht man so etwas zu verdrängen, wissen Sie. Man möchte sein Kind so sehen, wie man es sich wünscht, und wenn es sich dann anders entwickelt … Zumindest eine Zeit lang will man es einfach nicht wahrhaben. Gespürt habe ich es aber trotzdem.«
    »Sie haben Ihre Tochter aber nicht dabei beobachtet, oder?«
    »Nein! Wir haben die Privatsphäre ihres Zimmers stets respektiert.« Sie atmete scharf durch die Nase aus. »Wir müssen Ihnen wie die dümmsten Eltern der Welt vorkommen.«
    Alex zuckte mit den Schultern und sagte nichts. Ein paar tröstende Worte hätten die Last der Schuld für Elke Gerstein sicher gemildert, aber das war nicht seine Aufgabe. Außerdem hatte sie ja Recht.
    »Haben Sie diese … diese Bilder gesehen?«, fragte sie nach einem kurzen Schweigen.
    »Nein. Wenn ich einen Experten daransetzen würde, würde der sie sicher ausfindig machen, aber ich habe nur Verweise darauf in ihren Mails gefunden. Die waren aber deutlich genug, glauben Sie mir.«
    Elke Gerstein schüttelte den Kopf. »Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein.«
    »Vielleicht hat sie sich verliebt.«
    »Verliebt? In wen?«
    »Das muss ich herausfinden. Im Web trägt er den Namen Indigo. Haben Sie Ihre Tochter diesen Namen mal erwähnen hören?«
    »Indi … was?«
    »Indigo, wie die Farbe«, half Alex ihr.
    »Nein … Nein, so einen Namen hat sie nie erwähnt. Den hätte ich mir gemerkt, ganz bestimmt.«
    »Irgendeine andere Bemerkung von ihr in diese Richtung?«
    »Welche Richtung?«
    »Jungs eben.«
    Sie schüttelte den Kopf und setzte sich jetzt doch wieder auf den Sessel. »Und Sie sind sich sicher? Daniela hat über das Internet einen Jungen kennen gelernt und sich verliebt, ja?«
    »Alles deutet darauf hin.«
    »Aber dann … Wenn das wahr ist, ich meine, dann ist sie doch bei ihm, oder? Sie wollte es uns nicht verraten und ist jetzt bei ihm. Das kann ich verstehen, ich war doch auch mal jung.«
    Die Hoffnung, die jetzt erneut in Elke Gerstein aufkeimte, unterstrich Alex’ Auffassung über die Dummheit der Menschen. Diese Frau wusste wirklich nicht, wie es zuging in der Welt. Sie lebte in diesem Haus wie auf einer Insel der Glückseligkeit, und das Leid der anderen perlte an ihren perfekt geputzten Fensterscheiben ab. Wahrscheinlich überlas sie gewissenhaft jede Meldung in der Tagespresse, die sich mit vergewaltigten und ermordeten jungen Mädchen beschäftigte. Mädchen, die in dem Glauben gestorben waren, im World Wide Web die große Liebe gefunden zu haben.
    Bis jetzt!
    »Wenn es so ist, werde ich es herausfinden«, sagte Alex. »Dazu müsste ich mich aber noch einmal in Danielas Zimmer umsehen.«
    Zwei Reihen gerader Zähne raubtierhaft gebleckt in einem riesigen Mund ohne Lippen. Bloß gelegtes Zahnfleisch mit Löchern, durch die der Kieferknochen weißlich hindurchschimmerte, dazu ein klaffendes Loch in der rechten Wange, gegen das sich der gräulich verfärbte Zungenlappen drängte. Augen ohne Lider, farblos matte Kugeln, scheinbar zu klein für die geweiteten Höhlen. Langes, stumpfes Haar ohne Farbe, das wild und alt und wie die Perücke aus einem Zombiefilm wirkte. Überall grässliche Verheerungen durch großflächig verätzte Haut. Kniescheiben und Rippenbögen standen hervor, als hätten sie keinen Platz mehr in dem mumienhaften Körper.
    Was dort in der Schweinebox lag, war der Rest eines nackten weiblichen Körpers. Die

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