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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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hätte oben bei Nele in der Wohnung bleiben und es mit ihr ausdiskutieren müssen, wie erwachsene Menschen das eben taten. Sie überlegte zurückzufahren. Aber dann schaltete die Ampel auf Grün, und da sich von hinten das Scheinwerferpaar eines Fahrzeugs näherte, gab Anou Gas und fuhr geradeaus über die menschenleere Kreuzung.
    Es war oft nicht leicht, mit Nele zu diskutieren. Während in ihr selbst schnell ein emotionales Chaos ausbrach, blieb Nele in solchen Gesprächen ruhig, und dann fühlte Anou sich ihr unterlegen. Nele behielt ihre Gefühle meistens für sich, konnte vielleicht gar nicht so offen darüber sprechen wie sie selbst. Anou hatte schon häufiger darüber nachgedacht, woher das kam. Möglicherweise lag es an ihrem Elternhaus.
    Es war schwierig gewesen und hatte lang gedauert, etwas von der jungen Nele Karminter zu erfahren, dem Teenager. Ihr Vater, ein Realschulrektor, der vor acht Jahren verstorben war, hatte es nicht akzeptieren können, dass seine einzige Tochter lesbisch war. Nele hatte nie ein Comingout im engeren Sinn gehabt. Sie war nie mit einer Freundin zuhause aufgetaucht, um zu sagen: Ich liebe dieses Mädchen. Sie hatte sich versteckt und tat es im Grunde heute noch. Anou hatte bisher weder ihre Mutter noch ihren jüngeren Bruder kennen lernen dürfen. Familie, das waren nur sie beide. Ihre Liebe war nur für sie selbst sichtbar, nicht für andere.
    An der nächsten Kreuzung musste Anou scharf bremsen, um einen Rettungswagen vorbeizulassen. Er schoss mit hoher Geschwindigkeit und Einsatzlicht an ihr vorüber.
    Das stroboskopisch blitzende Licht und die Dramatik der Situation lenkten ihre Gedanken in eine andere Richtung. Der unerwartete Leichenfund und die danach ausgebrochene Hektik und Betriebsamkeit hatten sie eine Sache vergessen lassen, die immens wichtig sein konnte.
    Die Blutuntersuchung!
    Möglicherweise hatte das Krankenhaus bereits ein Ergebnis, doch um diese Zeit würde sie dort im Labor niemanden mehr erreichen.
    Sie überlegte, Miriam Singer anzurufen und sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung war. Aber damit würde sie sich genauso übertrieben fürsorglich benehmen wie Nele.
    Es war frustrierend, heute nichts mehr tun zu können.
    Noch frustrierender war es, jetzt in ihre Wohnung zurückzumüssen, allein und mit diesem Brennen tief in der Brust. In eine Wohnung, die sie erst seit kurzem hatte und die ihr noch immer so leb- und lieblos vorkam wie … wie Karel Murachs Versteck tief im Wald und unter der Erde.
    »Wer ist da?«, rief Simone Lachnitt erneut.
    Sie bekam keine Antwort, und nachdem ihre Worte verhallt waren, herrschte gnadenlose Stille in der Diele, in der Miriam den Wind ums Haus heulen hören konnte.
    »Okay«, sagte Simone flüsternd. »Ich werde zur Sicherheit die Zentrale anrufen, die schicken einen Streifenwagen raus.«
    Miriam stand wie versteinert hinter ihr.
    »Ist er das?«, fragte sie kaum hörbar.
    »Beruhig dich«, sagte Simone und berührte sie am Arm. »Wir öffnen niemandem die …«
    Glas explodierte.
    Miriam schrie auf, wurde im selben Moment von Simone gepackt und mit dem Rücken an die Wand gezogen.
    Aus dem Wohnzimmer strömte sofort eiskalte Luft in die Diele.
    »Mein Handy liegt da drinnen auf dem Tisch«, flüsterte Simone ihr zu.
    »Was sollen wir tun?«, fragte Miriam. Die Polizistin überlegte, schien ihre Optionen abzuwägen und sagte schließlich: »Wir hauen ab. Soll sich doch irgendwann und irgendwo ein Spezialkommando um diesen Wahnsinnigen kümmern. Du tust genau, was ich dir sage, verstanden?«
    »Was … Was hast du vor?«
    »Wir gehen raus zu meinem Wagen und hauen ab.«
    Miriam meinte, aus dem Wohnzimmer Geräusche zu hören: Das Knirschen von Glas unter Schuhsohlen.
    Sie beobachtete, wie Simone die Waffe entsicherte, und während sie sich rückwärts durch die Diele schoben, zielte sie auf die Wohnzimmertür. »Schließ auf«, raunte Simone ihr zu, als sie die Tür erreichten. »Wir laufen hinüber zum Wagen. Du stoppst auf keinen Fall, egal, was du hörst. Vielleicht muss ich schießen, aber auch dann rennst du weiter. Verstanden?«
    Miriam nickte.
    Simone trat in den geschützten Eingangsbereich hinaus und verharrte dort einen Augenblick, bevor sie einen weiteren Schritt nach vorn machte.
    Miriam, die sich direkt hinter ihr befand, sah einen Schatten von links nach rechts vorbeihuschen. So schnell, dass sie nicht einmal dazu kam, eine Warnung auszustoßen. Simone schien ihn ebenfalls gesehen zu haben, denn sie war

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