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Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod

Titel: Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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draußen.«
    »Warum? Gibt es einen bestimmten Grund dafür?«, fragte Simone.
    Miriam mochte sie und hatte ihr schon nach den ersten zehn Minuten das Du angeboten. In den vergangenen Stunden hatten sie abwechselnd Halma gespielt oder sich unterhalten, doch mit dieser Frage drang sie jetzt in einen sehr intimen Bereich ihres Lebens ein, und Miriam tat sich schwer damit, über das Thema zu sprechen.
    Schweigend betrachtete sie ihre Nägel.
    »Ist das zu persönlich?«
    Miriam nickte.
    »Tut mir leid … Ich hätte nicht fragen sollen.«
    In dem folgenden Schweigen hörten sie überdeutlich den Ofen bullern. Holz verbrannte knackend und krachend darin. Irgendwas auf der Terrasse klapperte in einer Windböe, aber das tat es schon eine ganze Weile.
    »Mein Vater hat mich missbraucht«, sagte Miriam schließlich. Und sah zu Simone auf, die zunächst einmal schwieg.
    »Verdammte Scheiße«, sagte sie schließlich, und Miriam hörte die Wut in ihrer Stimme.
    Miriam kannte diese Wut, sie spürte sie oft genug in sich selbst. Wut wegen dieser ganzen Gewalt, die Frauen immer noch angetan wurde, überall auf der Welt und jederzeit. Hatte sich daran in den letzten Jahrzehnten trotz allem Gerede wirklich etwas geändert?
    »Tut mir echt leid, ich hätte nicht fragen sollen. Das brauchst du gerade heute bestimmt nicht.«
    Miriam schüttelte den Kopf. »Du musst dich nicht entschuldigen. Ich habe seit gestern Nacht oft genug daran gedacht. Weißt du, der Sport, der Antiterrorkampf … Mir ist schon klar, warum ich das tue. Ich kann mich an vieles nicht erinnern, aber ich weiß noch ganz genau, wie sehr ich die Machtlosigkeit damals gehasst habe. Ich war einfach nur ein kleines, schwaches Opfer, und das sollte mir nie wieder passieren.«
    »Ist es ja auch nicht«, sagte Simone. »Du bist nicht wieder zum Opfer geworden. Du hast es diesem Wichser so richtig gezeigt.«
    »Ja, und soll ich dir was sagen: Das war ein richtig geiles Gefühl. Allerdings nur für einen kurzen Moment … Danach hatte ich die schlimmste Angst meines Lebens.«
    »Als er dich verfolgt hat?«
    Miriam nickte und kämpfte die Erinnerung daran zurück. »Ich weiß nicht … aber da waren die ganzen Techniken plötzlich sinnlos. Ich bin abgehauen und hab mich in diesem Wassergraben versteckt, statt mich zu wehren.«
    »Das stimmt nicht! Du hast dich gewehrt und hast auch danach alles richtig gemacht. Genau dafür hast du doch trainiert. Hey, Mädchen, du solltest auch mal ein bisschen stolz auf dich sein.«
    Miriam presste die Lippen zusammen und nickte schweigend.
    Sie wollte gerade etwas erwidern, da klingelte es. Die alte, schrecklich laute Klingel war direkt im Wohnzimmer über der Tür platziert und jagte ihnen beiden einen höllischen Schrecken ein.
    »Wer könnte das sein?«, fragte Simone.
    Miriam zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Sie warf einen Blick zur Uhr. Halb zehn. »Um diese Zeit bekomme ich nie Besuch.«
    »Okay, bleib ganz ruhig.« Simone zog ihre Dienstwaffe aus dem Holster, das sie auf dem Tisch abgelegt hatte. »Du öffnest auf keinen Fall die Tür, hörst du. Erst wenn wir zweifelsfrei wissen, wer da ist.«
    Sie gingen auf die Diele hinaus. Dort war es drastisch kälter als im Wohnzimmer. Miriam wollte Licht machen, doch Simone hielt sie davon ab. Sie schüttelte den Kopf und presste einen Zeigefinger gegen ihre Lippen. Die Waffe am langen Arm zu Boden gerichtet ging sie langsam durch die lange Diele auf die Haustür zu. Drei Meter davon entfernt blieb sie stehen. Es klingelte erneut.
    »Wer ist da?«, rief Simone und zielte mit der Waffe auf die alte Holztür.
    Sie stiegen aus dem Wagen und überquerten die Straße. Atemnebel stieg vor ihren Gesichtern auf. Die Kälte prickelte auf Neles erhitztem Gesicht.
    »Du hast noch gar nichts über das Seminar erzählt. Wie war es denn?«, fragte Anou, während sie auf das Mehrfamilienhaus zugingen.
    Auf dem Rückweg vom Präsidium hatten sie bei einem Restaurant gehalten. Nele hatte gedacht, sie würde nichts hinunterbekommen, doch dann hatte sie ordentlich gegessen und noch mehr getrunken. Viel zu viel Rotwein, den sie jetzt im Kopf und in den Beinen spürte. Aber es ging ihr besser. Die Welt sah nicht mehr ganz so düster aus, und sie fühlte die gewohnte Zuversicht zurückkehren.
    Während des Essens hatten sie sich ausschließlich über den Fall unterhalten und sich dabei die allergrößte Mühe gegeben, das Gespräch um den kleinen Disput wegen Anous neuerlichem Alleingang

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