Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
schon hinbekommen.
Als Schön sich setzte, registrierte Jördis seinen schnellen Blick in ihren Ausschnitt.
Die obersten drei Knöpfe der übertrieben engen Bluse waren geöffnet, und ein bisschen was von dem sündhaft teuren BH mit Spitze lugte daraus hervor. Es war ein Push-up, damit das bisschen Busen, das sie hatte, wenigstens zur Geltung kam.
Du hast schon verloren , dachte Jördis und schenkte ihm ein herzliches Lächeln.
»Dass wir uns so schnell wiedersehen, freut mich wirklich«, sagte er und strahlte sie an.
Jördis fragte sich, ob Schön ihr ohne ihr Hintergrundwissen sympathisch gewesen wäre. Nein, wahrscheinlich nicht. Er war zu aufdringlich, zu bemüht, ihm fehlte die Coolness, die Alex an den Tag legte, ohne dafür irgendetwas tun zu müssen. Schön war im Umgang mit ihr so emsig wie eine dumme Hummel.
»Es ist mir ein bisschen peinlich«, sagte sie.
»Ach was, das muss es nicht. Ich verstehe das, wirklich. Ich habe gestern Abend schon gespürt, wie gern Sie mit mir gesprochen hätten, aber mit Ihrer Freundin an Ihrer Seite war das ja ein wenig … nun ja, schwierig.«
Jördis machte eine abwertende Handbewegung.
»Ach, Carla. Ich hätte sie gar nicht mitnehmen sollen, aber allein habe ich mich nicht getraut. Sie ist immer gleich so negativ und sieht nur das Schlechte in den Menschen.«
Alex war der Auffassung, es wäre klug, sich während des Gesprächs auf Schöns Seite zu schlagen und ein bisschen über Carla zu lästern. So schuf man Vertrautheit. Zwei Menschen auf der gleichen Wellenlänge, die sich gegen Ignoranten behaupten mussten.
Es schien zu funktionieren.
Schön nickte und sah sie ernst an. »Die meisten Menschen erkennen einfach nicht, wenn sich ihnen eine Chance bietet. Aber Sie haben es erkannt und sich entschieden, sie zu nutzen. Das ist echte Leidenschaft, der unbedingte Glaube an sich selbst – das sind die allerwichtigsten Voraussetzungen für eine angehende Schriftstellerin.«
»Ehrlich?«
Er nickte erhaben, und Jördis musste sich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.
»Wollen wir uns nicht duzen?«, fragte er plötzlich.
»Klar, warum nicht.«
»Schön. Ich bin Horst.«
Natürlich quittierte sie dieses Wortspiel mit einem anerkennenden Lächeln, ergriff seine überflüssigerweise ausgestreckte Hand, die sich schwitzig anfühlte, und sagte: »Jördis.«
»Jördis«, wiederholte er ihren Namen mit einem besonders warmen Klang und hielt ihre Hand dabei viel zu lange fest. »Ein ganz wunderbarer Name. Die Königin des Schwertes, nicht wahr?«
»Ich bin überrascht«, sagte Jördis und entzog ihm ihre Hand. »Das wissen nur die Wenigsten.«
»Ich kenne mich ein wenig in der Etymologie aus, von Berufs wegen sozusagen.«
Seine Mimik veränderte sich. Jördis konnte nicht genau sagen, was in seinem Gesicht geschah, aber plötzlich fühlte sie sich von ihm bedrängt, obwohl er nicht näher gekommen war. Fühlte sich durchschaut, obwohl das doch nicht sein konnte. Er lächelte nicht mehr, und in seinen Augen schlich sich eine unangenehme Kälte ein.
»Und?«, fragte er mit dunkler, rauer Stimme. »Bist du auch wirklich eine Königin des Schwertes?«
Jördis ließ sich mit der Antwort einen Moment Zeit. »Willst du es herausfinden?«
Nachdem Horst Schön in einem schwarzen Opel Astra aus der engen Hofeinfahrt in der Katzengasse 11 gerollt war, das Hoftor geschlossen hatte und die Straße hinuntergefahren war, hatte Alex, der sich in seinem Wagen geduckt hatte, noch einen Moment gewartet und dann Jördis angerufen.
»Okay, er ist losgefahren und müsste in zehn Minuten bei dir sein. Alles klar?«
»Alles bestens«, hatte sie geantwortet.
»Halt ihn möglichst lange hin und ruf an, sobald er das Lokal verlässt.«
»Wie besprochen. Und Alex …«
»Ja.«
»Sei bitte vorsichtig.«
»Ich mach mir keine Sorgen. Der böse Bube ist ja bei dir.«
»Na, herzlichen Dank.«
Er hatte das Gespräch beendet, seinen schwarzen Rucksack genommen und war ausgestiegen.
Während er jetzt auf die Hausnummer elf zuging, sah er sich immer wieder um. Bei dem eiskalten starken Wind waren kaum Menschen auf der Straße unterwegs, aber natürlich konnte ihn jemand aus einem der vielen Fenster heraus beobachten. Die Straße war eng, hier kannte wahrscheinlich jeder jeden, und mindestens einen der üblichen neugierigen Nachbarn würde es auch geben.
Ohne Risiko ging es eben nicht. Alex hatte sich ganz in Schwarz gekleidet und eine schwarze Baseballkappe aufgesetzt, die sein
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