Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
Gesicht beschattete. Sollte ihn jemand beobachten, würde der ihn später wenigstens nicht beschreiben können.
Er probierte das Holztor. Es war nicht verschlossen. Rasch schlüpfte er hindurch und schloss es wieder.
Auf der linken Seite wurde der schmale, konkav zulaufende Hof von der Seitenwand des Hauses begrenzt, in dem das Literaturcafé untergebracht war. Nach hinten gab es eine Garage. Rechts zog sich die grau verputzte Wand des Nachbargebäudes ohne Fenster drei Stockwerke in die Höhe. Es sah so aus, als hätte in dieser Lücke früher auch ein Haus gestanden, das aber abgerissen worden war. Für Alex’ Vorhaben war das ideal, denn der Hof war nach allen Seiten vor Blicken geschützt.
Alex wandte sich dem Haus zu. Eine alte Holztür mit gelblichem Glaseinsatz auf halber Höhe führte hinein. Neben der Tür standen Getränkekisten mit leeren Flaschen, ein Müllcontainer und ein großer Berg bereits nass gewordenen Altpapiers. Auffällig waren die vielen runden Plastikblumentöpfe mit gefrorenem Wasser darin. Alex zählte sie nicht, aber es waren sicher vier Dutzend.
Dieser Hof war ein schaurig-schmuddeliger Ort, in den wahrscheinlich so gut wie nie die Sonne hineinschien, der aber bestens geeignet war, um unbemerkt von den übrigen Anwohnern etwas ins Haus zu bringen. Es herrschte eine Atmosphäre wie in einem Hollywood-Thriller, und Alex fragte sich, ob das alles nicht ein bisschen zu gut passte. Vielleicht war Schön gar nicht der, für den er ihn hielt – oder er übertraf seine schlimmsten Befürchtungen.
Tja, er würde es herausfinden.
Jetzt gleich.
In dem Rucksack befand sich unter anderem sein Schlosserwerkzeug, mit dem er das altmodische Schloss in zehn Sekunden geöffnet hatte. Sobald er die Tür hinter sich zugedrückt hatte, stieg ihm muffiger Geruch in die Nase, und als er sich herumdrehte, sah er die Quelle des Gestanks. Auf dem gekachelten Boden des fünf Meter langen Flurs standen über die gesamte Länge verteilt getragene Herrenschuhe. Sneaker, Sportschuhe, City- und Businessschuhe, Gummistiefel, Wanderstiefel. Was ihm ihn die Nase stieg, war Horst Schöns Fußgeruch.
Auf dem Weg durch den Flur versuchte Alex, die Luft anzuhalten.
Durch eine weitere Tür gelangte er in eine Art Büro. Es gab einen Schreibtisch mit PC und einen Drehstuhl; darüber hinaus war der Raum noch mit allem möglichen anderen vollgestopft. Getränkekisten, hier mit vollen Flaschen, Kartons, Regale voller Bücher und eine Unmenge Papierstöße. Alte Zeitschriften, Magazine, Nachschlagewerke, dazwischen wieder Blumentöpfe mit kümmerlichen Pflanzen und überall Kleidungsstücke, aufgehängt wie zum Trocknen.
In seinem ganzen Leben hatte Alex noch keinen derart wüsten Raum betreten. Die Tortur des Stiefelflurs wurde zwar nicht übertroffen, viel besser roch es hier aber auch nicht. Die Luft war abgestanden und irgendwie feucht.
Alex bemerkte eine blaue Schlafcouch an der hinteren Wand. Kissen und Decken lagen darauf, Ärmel und Hosenbeine eines Pyjamas lugten darunter hervor. Auf dem Boden vor der Couch verschwand ein voller Aschenbecher unter Kippen, daneben lagen zwei leere, umgekippte Bierflaschen.
Hier schlief Horst Schön also, aber lebte er hier auch?
Der Schreibtisch stand vor einem mit dicken gelben Vorhängen verhüllten Fenster. Den Spinnweben an der Gardinenstange nach zu urteilen waren die Vorhänge seit Jahren nicht bewegt worden. Der Schreibtisch selbst war eine Kopie des Raumes. Alex konnte auf die Schnelle gar nicht aufnehmen, was da alles herumstand. Sein eigener Schreibtisch war auch nicht gerade ein Ausbund an Sauberkeit, aber dies war eine regelrechte Müllhalde.
Der PC lief, das verriet das surrende Geräusch des Lüfters.
Nachdem er den Stuhl inspiziert hatte, setzte Alex sich und drückte eine Taste. Auf dem Bildschirm erschien das Windowslogo. Er versuchte sich einzuloggen und scheiterte an dem Passwort. Aber sein Rucksack hielt ja noch ein paar Überraschungen parat. Er holte eine CD-Rom daraus hervor und schob sie in den PC. Die darauf befindlichen Programme, Erfindungen eines Freundes aus alten Tagen, würden die Sache mit dem Passwort für ihn erledigen und gleichzeitig ein Abbild der Festplatte brennen. Derweil konnte er sich im Haus umsehen.
Ein Blick auf die Uhr.
Zehn Minuten waren vergangen von der Dreiviertelstunde, die er sich selbst gegeben hatte.
Er schaltete den kleinen Empfänger, den er am Gürtel trug, ein und schob sich den winzigen Knopf ins Ohr.
»Nur
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