Bleicher Tod - Winkelmann, A: Bleicher Tod
hereinspaziert«, sagte Horst Schön laut und deutlich.
Die Technik funktionierte einwandfrei. Das Mikrofon trug Jördis als Ohrstecker getarnt am Ohr, einen leistungsstarken Sender mit Tape auf der Haut am unteren Rücken befestigt. So konnte Alex, während er sich hier umsah, dem Gespräch folgen und würde rechtzeitig mitbekommen, falls es aus dem Ruder lief. Jördis war eine gute Schauspielerin, keine Frage, aber Schön war alles andere als dumm. Vielleicht würde er den Braten riechen. Dann müsste Alex schnellstmöglich verschwinden, immerhin beging er hier einen Einbruch und Diebstahl.
»Dass wir uns so schnell wiedersehen, freut mich wirklich«, sagte Schön.
Freu dich bloß nicht zu früh, dachte Alex.
Im Untergeschoss gab es nur einen weiteren Raum, das Literaturcafé. Daran hatte Alex kein Interesse, denn es war ein öffentlicher Ort, ungeeignet für Geheimnisse und Verstecke. Stattdessen wandte er sich der schmalen, steilen Treppe zu und stieg in den ersten Stock hinauf. Die Stufen knarrten beängstigend.
In dem oberen Flur war es dunkel. Braune Vorhänge verdeckten das einzige Fenster. Alex holte seine Taschenlampe aus dem Rucksack und schaltete sie ein. In dem scharf gebündelten Lichtstrahl schwebten Legionen von Staubpartikeln. Der Flur war mit einem rot-braunen Läufer ausgelegt, die Wände mit einer vergilbten Mustertapete verziert. Alles, auch die beiden goldfarbenen Wandlampen, wirkte uralt.
Jetzt verstand Alex, warum die Zimmer nicht vermietet waren. Wer würde für dieses Loch schon Geld bezahlen.
Vom Flur gingen vier Türen ab.
Das erste Zimmer war ein kleines, aber im Verhältnis zu den Zuständen unten gepflegtes Bad. Das zweite ein Abstellraum voller Kartons und, wie sollte es anders sein, ineinander gestapelter Plastikblumenkübel in der gleichen Größe, wie sie unten im Hof lagerten.
Der Mann muss ein echter Pflanzenliebhaber sein, dachte Alex.
Außerdem lagen unter dem Regal einige Paar alte, getragene Schuhe. Zusammen mit denen im Stiefelflur waren es bestimmt drei Dutzend. Einen Reim konnte Alex sich darauf nicht machen, aber ein Verbrechen war es schließlich nicht, alte Schuhe und Blumenkübel zu sammeln.
Den dritten Raum konnte man als Bibliothek bezeichnen. Drei Wände waren mit Regalen zugestellt, aus denen die Bücher und Zeitschriften nur so hervorquollen.
Der vierte Raum war interessant.
Er war absolut sauber.
Ein großes französisches Bett stand in der Mitte, perfekt bezogen mit Satinwäsche und eingerahmt von kitschig roten Lampen. Unter der Decke und an einer Wandseite befanden sich große Spiegel. Der Boden war mit hochflorigem, rotem Teppich ausgelegt. In zwei Ecken standen silbergraue Stative mit Scheinwerfern darauf, dazwischen ein weiteres, kleineres Stativ, auf dem eine Fotokamera installiert war.
Alex sah sie sich genauer an.
Es war eine EOS 5D. Hochmodern, sündhaft teuer und in der Lage, neben Fotos auch professionelle Videos aufzuzeichnen.
Die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen, sah Alex sich um. Einen Raum wie diesen erwartete man in einem Bordell, aber doch nicht hier, in dieser siffigen Bude.
Horst Schön wurde immer rätselhafter.
»Wasserstoffperoxid wird unter anderem dazu benutzt, um in der landwirtschaftlichen Mastviehhaltung die Rohrleitungen zu reinigen, durch die das Futter in die Stallungen gelangt.«
Nele Karminter, die ihre Dienstwaffe gerade angelegt und die Jacke auf dem Arm hatte, sah Holger Sälzle an, der in der geöffneten Tür ihres Büros stand.
»Woher wissen Sie das?«, fragte sie.
»Aus dem Internet. Dann habe ich bei der Vereinigung der Mastviehhalter angerufen, und die haben es bestätigt. Das Zeug wird dort in großen Mengen eingesetzt.«
»Von wem?«
»Kommt darauf an. Viele Landwirte übernehmen die Reinigung selbst, manchmal machen es aber auch Fremdfirmen.«
Neles Gedanken begannen zu rotieren. Holger Sälzle hatte eine glasklare Verbindung gefunden. Sie alle hatten sich gefragt, warum gerade der einsame Maststall als Tatort diente. Und hier war die Antwort. Das konnte nicht bloß ein Zufall sein.
»Okay, danke«, sagte sie und zog ihre Jacke an. »Gute Arbeit. Ich werde sofort rausfahren und mich nochmal gründlich mit dem Besitzer unterhalten.«
Sälzle nickte und wandte sich ab.
Nele traf Anou vor dem Getränkeautomaten, aus dem sie sich gerade eine Flasche Mineralwasser gezogen hatte. Sie nahm ihr die Flasche ab, trank einen großen Schluck und unterrichtete ihre Partnerin von der Planänderung.
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