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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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kämpfen, Widerstand zu leisten. Es ist sinnlos, wenn das Schweigen so groß ist.
    Doch ich tue es nicht. Behutsam strecke ich Arme und Beine aus, drossele den Atem und warte auf den Schlaf. Ich hoffe darauf, ich glaube daran.
    Ich will dieses Schweigen nicht.
    Ich kapituliere nicht vor ihm.
    Ich habe nicht kapituliert. Glaubt nicht, dass ich es jetzt tue.
     
    Adriano steht spät auf. Als er die Augen öffnet, ist es bereits Vormittag, ein vages Brummen erfüllt seinen Kopf. Er ist kurz nach drei aufgewacht, nach knapp vier Stunden Schlaf, zu viele Gedanken sind auf einmal losgeprescht, in unbekannte Richtung. Dann ist die Kälte gekommen, plötzlich und schneidend, in langen Schaudern, wie die Vorboten einer Krankheit.
    Wäre es nicht so mühsam, wäre er aufgestanden und hätte eine Decke oder gar ein Federbett geholt. Doch so hat er beschlossen durchzuhalten, die Knie an die Brust gezogen, sich zusammengerollt, in der Hoffnung, der Körper würde sich selbst wiedererkennen und sich sicher fühlen.
    Es war ein langes Warten. Stundenlang hat er versucht, den Atem zu lockern, den Kopf zu leeren, eine Form zu suchen, in der sich die Einsamkeit ertragen lässt. Frei von Erinnerungen, Zweifeln, Hoffnungen. Frei von Angst. Als das erste Licht durch die Rollläden sickerte, war er mit vor Reglosigkeit schmerzenden Armen eingeschlafen.
    Jetzt, da er wach ist und in der warmen Badewanne sitzt, ist er sicher, dass nicht die Gelassenheit, sondern die Müdigkeit gesiegt hat. Er taucht mit dem Kopf unter, hält den Atem anund öffnet die Augen. Schon als Kind hat er das gemacht. Die Welt ist auf Distanz, weit genug weg, um einem nichts anhaben zu können.
    Er drückt die Luft aus den Lungen, die Blasen hüllen alles ein, dann taucht er auf.
    Eine halbe Stunde später ist er angezogen, der Fernseher läuft, die Zeitung ist soeben mit der Post gekommen. Der Artikel, mit einem Verweis auf der Titelseite.
    Die beiden Autorennamen. Seiner und meiner.
    »Wir machen es zusammen.«
    Kaum hatte er eingesehen, dass er es nicht verhindern konnte, hatte er seine Bedingung gestellt. Wir teilen die Schuld, die Aufmerksamkeit, die Gefahr. Möglicherweise eine Illusion.
    Beim Lesen des Artikels verdrängt der Stolz für einen Moment jedes andere Gefühl. Die Geschichte der Verbindungen zwischen Di Donna, Longo und Marsigli. Ein Teil von Ferrarinis Schilderungen. Die Vergangenheit, die mit der Semprini, mit Mirri und der Anonima Cementi näherrückt. Ein langer Bericht, der gesicherte Fakten, Mutmaßungen und Hypothesen zusammenbringt. Er reicht von den Siebzigern bis in die jüngste Vergangenheit und sät den Zweifel, dass auch die Gegenwart nicht gegen das Unheil gefeit ist.
    Adriano schlägt die Zeitung zu. Die Angst kehrt zurück. Lebendig, real und so massiv, dass er sie berühren könnte. Sie ist ein Geruch, eine säuerliche Ausdünstung, die plötzlich das ganze Zimmer erfüllt und ihm in der Nase sticht. Er rollt ins Bad, zieht sich aus, schnuppert an den Kleidern, riecht nichts, wäscht sich trotzdem noch einmal, zieht etwas Neues an. Schließlich sieht er sich im Spiegel und muss lachen.
    Kopfschüttelnd kehrt er ins Wohnzimmer zurück. Im Fernsehen laufen gerade Nachrichten. Reglos verharrt er vor dem Bildschirm.
    Eine Leiche, die aus einem Fluss gefischt wurde, das Gesicht von einem Pistolenschuss entstellt. Zwei weitere Kugeln im Körper.
    Angelo Liberovici, sagt der Berichterstatter. Dann nimmt das Gesicht des Mannes die Bildfläche ein.
    Es geht los, denkt er.
    »Es geht los«, flüstert er. Es klingelt.
    Erst beim zweiten Klingeln rührt er sich. Er rollt in den Flur und öffnet ohne nachzudenken die Tür.
    Sein Herzschlag setzt kurz aus.
    »Ich muss verschwinden«, sagt der Mann, der vor ihm steht.
    Ein Geist. Einer, dessen Namen er nie gekannt hat.
    Angelo Liberovici.
    Der Mann mit der Zigarette.
     
    In der Wohnung ist es still.
    Kein Fernseher, kein Radio, kein Geräusch.
    Zwei Männer, der Küchentisch, ein Aschenbecher, die Espressotassen, die leere Kaffeemaschine in der Spüle.
    »Ich heiße nicht Angelo«, sagt der Mann mit der Zigarette. »Nur damit du es weißt.«
    Adriano macht ihm ein Zeichen zu schweigen und beschreibt mit dem Zeigefinger einen Kreis, der das ganze Zimmer einschließt.
    Der Mann zündet sich eine Zigarette an und grinst.
    »Die haben alles abgeklemmt, als du angefangen hast, in den Park zu gehen. Sonst wäre ich nicht hier.«
    Adriano sieht ihn an. Er muss an einen Tag vor vielen Jahren denken, an

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