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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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beide Ohrenverschuldet. So steht es auch in der Pressemitteilung, mit der er Marsigli vor die Tür setzt. Heute ist sie der einzige multinationale Konzern Italiens, mit einem Italiener an der Spitze. Ein Beispiel.« Er senkt die Stimme. »Ein Beispiel.«
    All dieses Geld in bar. Würden Sie sich nicht fragen, woher es stammt?
    Baldaccis Frage lässt ihn einfach nicht los. Ein nagendes Insekt, das langsam und unerbittlich weiterbohrt. Bis ins Gehirn.
    »Weißt du, was freiwilliges Opfer bedeutet?«
    Er stellt die Frage, ohne mich anzusehen, und tut es erst, als ich ihm antworte.
    »Dass jemand mit dem Rücken zur Wand steht.«
    »Unterm Strich ja.«
    Er setzt sich vor mich auf den Tisch und verschränkt die Arme. Er sieht müde aus.
    »Was wirst du tun?«, fragt er.
    Ich warte, dass mein Herzschlag sich beruhigt, und lasse mich gegen die Lehne sinken.
    Ich denke an die Konten, die wir nicht entschlüsseln konnten.
    Ich schließe die Augen, und die Welt verschwindet kurz.
    Genau das brauche ich.
     
    Der Mann zieht den Ring vom Finger und spielt mit dem Stein. Im Lampenlicht gleicht der Saphir einem Blutstropfen, für immer in einen goldenen Käfig gebannt. Er gehörte seinem Vater und davor dem Vater seines Vaters, der denselben Namen trug wie er, den er nie gesehen hat und von dem ihm noch immer alle erzählen.
    Nichts weiter als ein Name, der einer Vergangenheit angehört, von der er nichts wissen will. Alles, was er tut, ist der Gegenwart und Zukunft gewidmet. Zeit für Reue und Trauer bleibt ihm noch genug, wenn er sich zur Ruhe setzt. Wenn er sich denn zur Ruhe setzt.
    Er sieht auf die Uhr. Es ist schon sehr spät, er würde gernschlafen. Er hat es schon mindestens zweimal versucht. Das erste Mal, nachdem sie gespielt gleichgültig wie immer gegangen ist. Ein Winken, ein flüchtiger Kuss auf die Lippen, frisch geduscht und nonchalant, als wäre ihr alles schnuppe.
    Sie ist verdammt jung und hat keine Ahnung, was er treibt. Manchmal denkt er, er könnte es ihr sagen und sie wäre kein bisschen überrascht. Vielleicht würde sie kurz die Braue hochziehen und ihn dann fragen, was er zu trinken da hat.
    Als er wieder allein war, hat er sich zum x-ten Mal gefragt, ob er sie liebt. Es ist ihm wurst, ob sie verliebt ist, ihre Gefühle zählen nicht.
    Er steht auf, schlendert ins Schlafzimmer, knipst das Licht an, betrachtet sich im Spiegel, barfuss, offenes Hemd, dunkle Hosen, tiefbraune Haut.
    Er liebt sie nicht, er liebt niemanden.
    Nicht einmal seinen sechsundfünfzigjährigen Körper, der für Vierzig durchgehen könnte. Oder sein Gesicht, das unmerklich gealtert ist, ohne dass er etwas dagegen hätte unternehmen können.
    Er liebt das Gefühl, unverzichtbar zu sein. Die Gewissheit, dass man ihn braucht. Das Mädchen, der Mann, der auf seinen Anruf wartet, und viele andere.
    Er liebt den Besitzanspruch, mit dem sie ihm begegnen und den sie erfüllt zu sehen meinen. Er liebt die Distanz, die er zwischen sich und der Welt aufgebaut hat, die Indifferenz, die er allem entgegenbringt, die Hürden, die er jedem setzt, der sich ihm nähern will, ob beruflich, aus Neugier, Lust oder Notwendigkeit.
    Er liebt die Kontrolle.
    Er liebt seinen Job. Er ist der Beste seiner Art. Der Letzte, der die alte Welt noch kennengelernt hat und ein wenig von der Grausamkeit und dem nötigen Biss in die neue herüberretten konnte.
    Er will gerade das Licht ausschalten. Er hat schon den Finger am Schalter, da sieht er den Ohrring. Er liegt fast unterdem Bett und funkelt selbst im Dunkeln. Er hebt ihn auf, sieht ihn an, riecht daran, öffnet ihn.
    Ohne zu wissen weshalb stößt er sich den Dorn in die Fingerkuppe. Er drückt. Drückt. Zieht ihn heraus. Das hervortretende Blut gleicht dem Saphir. Klein und wertvoll. Er presst es hervor und sieht ihm beim Fallen zu. Ein Tropfen, noch einer und noch einer.
    Er vergräbt den Finger in der Faust, geht ins Bad, das eisige Wasser schließt die Wunde, betäubt das Fleisch. Er reißt ein Stück Klopapier ab, kehrt ins Schlafzimmer zurück und wischt das Blut von den Fliesen.
    Das Telefon klingelt.
    Keine Melodie, nur eine vom Glas des Nachttischchens verstärkte Vibration. Er steht auf und geht ran, den Spiegel im Rücken.
    »Er wird schreiben«, sagt er. Er hasst seine eigene Stimme. Er hasst die Art, wie sie den Leuten gefällt.
    »Morgen«, sagt er. Es kommt keine Reaktion. Er stellt sich den zufriedenen Blick am anderen Ende der Leitung vor, das leise Lächeln.
    »Einen langen Artikel«, sagt er.

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