Bleiernes Schweigen
Bestimmte Leute werden anfangen, sich Fragen zu stellen. Alles nach Plan.
»Solara wird kommen«, sagt er und ist sich zum ersten Mal sicher, dass es auch stimmt.
Kurz darauf legt er auf. Er schließt das Handy an die Ladeschnur, zieht sich aus und lässt sich eine Wanne ein.
Heißes Wasser, Badesalz, Parfum, Mozarts
Klaviersonate Nr. 11
aus der Stereoanlage im Wohnzimmer. Kurz nachdem die Musik geendet hat, kommt er aus dem Bad.
Er blickt sich in der Wohnung um. Das leere Schlafzimmer. Das zerwühlte Bett. Der Ohrring auf der Kommode. Die Kleider am Boden.
Er horcht.
Es ist still. Zu still.
Mitten in der Nacht wache ich auf und kann nicht wieder einschlafen. Mir ist kalt. Zu kalt für Decke und Federbett. Es ist die Kälte, die man bei einer Krankheit verspürt, bei Fieber, wenn der Körper reagiert oder sich weigert, es zu tun.
Ich ziehe mir die Decke bis über die Ohren, liege mit dem Rücken zur Tür, zusammengekauert, die Arme verschränkt.
Die Tür ist zu, verrammelt. Dahinter, auf der Treppe, die nach unten führt, ein Geräusch.
Ein Möbelstück, ein Tier, ein Gespenst, ein Mensch, ein Geist meiner selbst, dem ich mich nicht zu stellen wage.
Ich habe Angst. Habe Angst. Habe Angst und kann nichts tun. Nur atmen, warten, schreiben. Wenn die Worte nur etwas nützten.
Ich will dieses Schweigen nicht.
Ich will das Schweigen dieses Zimmers, dieser Nacht nicht. Nicht das Schweigen der Erinnerungen, der Geschichten, die nicht erzählt werden. Ich ertrage es nicht, ich schaffe es einfach nicht.
Ich schließe die Augen.
Die Nacht vor dem Erscheinen des Artikels war eine Nacht wie diese. Eine stille, grausame Nacht. Reglose Zeit, die auf den Morgen wartet. Der brennende Wunsch, umzukehren, so zu tun, als wäre nichts geschehen, den Kopf in den Sand zu stecken, wie es richtigerweise all die anderen tun.
Ich hatte den Artikel in einem Guss geschrieben, nicht ahnend, dass ich dazu noch fähig war. Dann hatte ich mich in ein Kino geflüchtet. Letzte Vorstellung.
Eine Frau in einem riesigen, verlassenen Haus. Sie, die Kinder, das Warten auf einen Mann, der niemals kommt, geschlossene Türen, die man nicht öffnen darf, allzu dunkle Schränke, in denen man jemanden atmen hört.
Die anderen, die zuhören, warten, gucken, stöbern, spionieren. Die anderen, überall.
Ich wollte wach bleiben, warten, dass die Zeitung an denKiosk kommt, erleben, was für ein Gefühl es ist, meinen Namen druckfrisch auf Papier zu lesen.
Ich habe es nicht getan. Plötzlich war es vollkommen gleich. Die Geschichte war geschrieben und erzählt. All das Vorhersehbare, was in Kürze geschehen würde und mit dem niemand rechnete, war bereits da. Ich brauchte keine Symbole, sie bedeuteten nichts und bedeuten jetzt noch weniger.
Ich war nach Hause gegangen, ins Bett, in dasselbe Zimmer wie stets, dieselben Laken, mit derselben Stille, als eine plötzliche, unerklärliche Kälte mir in die Knochen fuhr.
Ich war aufgewacht, genau wie heute Nacht, von Angstschaudern geschüttelt. Eine Angst, die dem Zustand, in dem ich glaubte leben zu müssen, allzu sehr glich. Eine gute, ehrliche, durchschaubare Angst, der ich nicht entrinnen konnte.
Reglos lag ich da, genau wie jetzt. Die Augen weit aufgerissen in Erwartung des Lichts, das meine nicht vorhandenen Alpträume verscheuchen sollte. Als es kam, war ich endlich eingeschlafen. Eine chemische, ungute Ruhe, die mich mit durchgeschwitzten Laken und einem schalen Gefühl von Krankheit dem Tag übergab.
So wird es jetzt vielleicht wieder. Und es genügt eine Dusche, um alles wegzuspülen, selbst die Erinnerung, gegen die sich Körper und Geist beharrlich sperren. Und vielleicht werde ich wie damals lächelnd aus dem Bad treten, stolz darauf, das Richtige getan zu haben. Und ich werde mich gut und mit mir im Reinen fühlen, fast so, als verhülfe einem das Tun der eigenen Pflicht zu einem kleinen Stück Glück.
So ist es gekommen.
Am Ende hatte ich weder die Zeitung gekauft noch meinen Vater gesehen oder Daniele oder Andrea kontaktiert. Ich hatte nichts gemacht. Ich war zu Hause geblieben, um zurückzublicken, mich zu fragen, ob es irgendeinen Sinn gebe, und den kurzen Augenblick zu genießen, in dem zum letzten Mal alles perfekt erschien.
Heute weiß ich, dass dieses Gefühl niemals wiederkehren wird.
Es ist vorbei, genau wie der ganze Rest.
Und vielleicht sollte ich hier und jetzt schreien. Herausschreien, dass ich weiß, dass ich mich geirrt habe, das es sinnlos ist, zu reden, zu
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