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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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Mailand?«
    »Genau.«
    Daniele klappt das Notizbuch zu, steckt es in die Tasche und steht auf. Er schaut aus dem Fenster, folgt der Spur eines Regentropfens, der das Glas hinabrinnt. Er kommt von ganz oben, wird schneller, dann langsamer und bleibt auf halbem Wege stehen. Ein zweiter erreicht ihn.
    Zusammen laufen sie bis ganz nach unten.
    »Rossini«, murmelt er. Er dreht sich um und lehnt sich gegen die Wand.
    Vitale sieht ihn nicht an, er starrt durch Danieles leeren Stuhl ins Nichts. Ein x-beliebiger Gefangener, der auf seinen Richter wartet.
    Daniele vergräbt das Gesicht in den Händen, fährt sich mit den Fingerspitzen über die Brauen, presst die Daumen gegen die Wangenknochen und bläst die Luft aus der Nase.
    Als er wieder ins Zimmer blickt, ist die Wirklichkeit von zahllosen kleinen Lichtpunkten durchsetzt, die sofort im Grau der Wände verschwinden.
    Er geht zum Tisch, setzt sich wieder hin, wirft einen prüfenden Blick auf die Fakten zu den Sadost-Konten, lässt die Fingerknöchel knacken und verschränkt die Arme vor der Brust. Er wartet.
    »Sie haben es gesagt, Dottore«, sagt Vitale. »Sie haben schon alles gesagt.«
    Dann schließt er die Augen, als wäre es vorbei.
     
    »Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Ring Ihnen so gefällt.«
    Don Antonio Prestileos Stimme ist hauchdünn. Er liegt im Bett, eingehüllt in einen roten Morgenrock, drei Kissen im Rücken, die Arme kraftlos ausgestreckt. Sein Atem geht mühsam, und immer wieder fallen ihm die Augen zu.
    Der Mann sitzt einen Meter vom Kopfende entfernt auf einem sehr alten, rot gepolsterten Bergere-Sessel aus vergoldetem Holz.
    Er betrachtet den Saphir und lächelt leise.
    »Er gehörte meiner Familie.«
    Wenn er mit Don Antonio redet, kann er seinem sizilianischen Akzent freien Lauf lassen. Ein Luxus für rare Gelegenheiten. Niemand weiß, wo er geboren ist, wie alt er ist, wie er wirklich heißt.
    Für die Leute, mit denen er zu tun hat, wechselt er den Namen, den Beruf, manchmal sogar das Aussehen. Kleinigkeiten, gewiss. Falscher Schnauzer, langer Bart, ein sehr teurer oder sehr unscheinbarer Anzug. Plastiksonnenbrille oder Sichtbrille mit Metall- oder Goldrand. Doch bei Don Antonio kann er ganz er selbst sein.
    »Wie fühlen Sie sich?«
    Der Hausherr versucht zu atmen, bekommt einen Hustenanfall, sein Gast steht auf und gießt ihm ein Glas Wasser ein. Er wagt nicht, es ihm an die Lippen zu setzen, hält es ihm lediglich hin. Don Antonio nippt daran.
    »Wie ein altes Stück Scheiße, mein Freund.« Er nimmt noch einen Schluck und reicht das Glas zurück. »Danke.«
    Der Mann senkt den Kopf, eine halbe Verbeugung. Er stellt das Glas ab und setzt sich. Don Antonio beginnt wieder zu sprechen.
    »Ich hätte das Ende dieser Geschichte gern erlebt.«
    »Sie werden uns alle überleben, und das wissen Sie.«
    Ein Lächeln erscheint auf Don Antonios Gesicht.
    »Wir sind am Ende. Und damit meine ich nicht mein Leben.« Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen. »Wir haben in einer Zeit voller Wahnsinniger gelebt. Und wir haben sie besiegt. Doch um sie zu besiegen, mussten wir selbst zugrunde gehen.«
    »Das klingt nach einem Shakespearschen Drama.«
    Der greise Sizilianer reißt die Augen auf und nickt.
    »Tod, Macht, Geld, Ehrsucht. Ich habe Shakespeare immer geliebt.« Er sieht weg und schließt die Augen. »Sagen Sie mir die Wahrheit.«
    Der Mann streicht mit dem Zeigefinger über den Saphir.
    »Sie lesen Zeitung, Don Antonio. Dann wissen Sie alles.«
    Der Alte nickt unmerklich.
    »Gestern habe ich unseren Corleoneser Buchhalter getroffen.«
    »Hm.«
    »Er meint, die machen Druck. Sie wollen die Trennung. Die Jahre des Schweigens seien so gut wie vorbei und das eine oder andere müsse zurückkommen. Mehr als das, was getan wurde. Er hat mich gefragt, ob ich dabei helfen könnte.« Er öffnet die Augen, und ein Lächeln erscheint auf seinem Raubvogelgesicht. »Schon wieder?, hab ich ihn gefragt.«
    »Und was hat Provenzano geantwortet?«
    »Er meinte, was geschehen sei, sei geschehen. Man müsse an die Gegenwart denken. Die Gegenwart … Das Einzige, was mich interessiert, ist, als freier Mann zu sterben.«
    Er hustet heftig und hebt die Hand, um sich gegen die Hilfe seines Gastes zu verwehren. Dann versucht er ganz behutsam zu atmen und seufzt erleichtert. Als er wieder zu sprechen beginnt, klingt seine Stimme fest.
    »Vor langer Zeit haben sie mich wie einen Volltrottel beschissen und dann fallenlassen. Abmachungen, das ist bekannt, haben nun

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