Bleiernes Schweigen
Augenblick. Dann belächle ich meine Dummheit, die Macht der Worte, die suggestive Kraft des Erzählens, den anderen Blick auf die Welt, zu dem mich der jüngste Abschnitt meines Lebens verdammt hat.
Doch diesmal hat das nicht genügt. Vor dem Duschen habe ich die Badezimmertür abgeschlossen, und als ich wieder herausgekommen bin, habe ich eine Ewigkeit auf der Schwelle gestanden und das Flurlicht angestarrt, weil ich mich nicht erinnern konnte, es angemacht zu haben.
Die Angst ist verschwunden, während das Wasser mir aus den Haaren über den Rücken rann und auf den Boden tropfte.
Dann ist der Schnee gekommen.
Gedankenverloren stehe ich im Hauseingang und sehe ihm zu. Eine Frau aus dem dritten Stock kommt herein und starrt mich an, als wäre ich ein Geist.
»Finden Sie dieses widerliche Wetter etwa schön?«, fragt sie.
Sie trägt ein Paar völlig durchweichte Lackschuhe, ihr Haar ist tropfnass und ihre Augen glänzen wie bei einer angehenden Grippe. Ich traue mich nicht, ihr zu sagen, dass ich Stunden so dastehen und den Flocken zusehen könnte. All diese Stille macht mich froh. Ohne überflüssige Geräusche wirkt die Welt wie ein besserer Ort.
Ich murmele etwas in mich hinein, aber sie hört nicht mehr hin. Als sie im Aufzug verschwindet, trete ich auf die Straße hinaus und mache mich auf den Weg zu Adriano.
Es war Schwachsinn, das Auto zu nehmen. Kaum sitze ich drin, wird mir klar, dass ich ewig brauchen werde. Ich rufe ihn an und zähle die Klingeltöne. Dann lege ich auf. Ich versuche es noch einmal, mit demselben Ergebnis. An der nächsten Ampel schreibe ich eine SMS.
Die folgenden zwanzig Minuten bin ich darauf konzentriert, auf der Straße zu bleiben und keinen Unfall zu bauen. Dann parke ich wild, zwanzig Meter von seiner Haustür entfernt.
Ich klingele und niemand macht auf.
Ehe ich meinen Schlüsselbund rausgezogen habe, öffnet jemand. Ein Mann, eine Frau, ein Junge, ein Hund, völlig egal, Hauptsache, ich bin drin. Ich haste die Treppe hinauf, nehme zwei Stufen auf einmal, mit dem Aufzug verliert man nur Zeit.
Ich drücke auf die Klingel. Ich drücke auf die Klingel. Ich drücke auf die Klingel.
Mach auf, verdammt.
Ich stecke die Hand in die Tasche und denke, was für ein Glück, dass ich alle Schlüssel an einem Bund habe, und wie alles andere als glücklich, dass ich vor der Wohnung meines Vaters stehe, der weder ans Telefon geht noch die Tür öffnet.
Ich stecke den Schlüssel ins Schloss.
Ich brauche zwei Versuche, bis ich es schaffe.
Endlich gibt das Schloss nach, ich lasse die Tür offen und rufe nach ihm.
Adriano. Adriano.
Das Flurlicht brennt, der Flur ist leer.
Adriano.
Das Licht in der Küche ist an. Sie ist ebenfalls leer.
Ich mache zwei Schritte und sehe einen Reifen seines Rollstuhls. Er lugt aus einer Ecke des Wohnzimmers hervor, zusammen mit einem Fitzelchen seines blauen Pullovers, von dem er sich nicht trennen kann.
Er ist nicht gefallen, denke ich, und die absurdesten Gedanken schießen mir durch den Kopf.
»Papa«, flüstere ich, als ich ihn sehe. »Papa.«
Er kehrt mir den Rücken zu, sein Kopf ist nach links geneigt. Ich lege ihm eine Hand auf den Rücken und drehe den Stuhl um.
»Papa.« Er sieht aus, als würde er schlafen.
Ich schüttele ihn, packe ihn bei den Schultern, er wacht nicht auf, rührt sich nicht, sagt nichts, reagiert nicht, öffnet die Augen nicht, wünscht mich nicht zum Teufel.
Er atmet nicht. Hat keinen Puls.
Ich sacke auf die Knie. Stehe auf. Blicke mich um. Alles ist an seinem Platz, nichts ist verrückt, nicht der kleinste Gegenstand.
Dann sehe ich die Karte. Sie liegt auf dem Tisch, ich hätte sie sofort sehen müssen. Vorsichtig greife ich danach, als könnte sie mich verletzen.
Es steht etwas darauf. Druckschrift, eine mir unbekannte Handschrift.
Ich bin nicht sicher, ob ich richtig gelesen habe, aber ich greife trotzdem zum Telefon. Ich gehe das Adressbuch durch, finde den Namen nicht, drücke endlich die Taste, doch es passiert nichts. Auch das zweite Mal nicht. Dann höre ich den Klingelton.
Einmal. Geh ran. Zweimal. Geh ran. Dreimal. Geh ran. Viermal.
Giulias Stimme. Sie lächelt, ich kann es hören. Ich kann nicht atmen, nicht reden.
»Papa«, ruft sie. »Hörst du mich?«
Papa, ruft es in meinem Kopf. Papa.
»Hörst du mich? Hallo?«
»Ich bin hier, mein Schatz, ich bin hier.«
Dann sage ich es ihr. Ich weiß nicht wie, und während ich noch darüber nachdenke, ist es schon raus.
Es ist leicht. Die Tatsache
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