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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Fogli
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Kopf. Zum ersten Mal wirkt er aufrichtig.
    »Nein. Glauben Sie mir.«
    Daniele sieht ihn an.
    Er ist erschöpft wie noch nie zuvor.
    Er hat genug von Worten, von Andeutungen, von Drohungen, die wie Ratschläge klingen, von Ratschlägen, die nie die richtigen sind. Er ist es leid, sich gegen Leute zu wehren, die ihm helfen sollten, leid, nicht mehr zu durchschauen, wer die Guten und wer die Bösen sind. Leid, einem Getreuen der Cosa Nostra zuzuhören und festzustellen, dass die Getreuen des Staates dasselbe Spiel spielen, manchmal sogar nach noch härteren Regeln.
    Er lacht auf, sieht aus dem Fenster und dreht sich zu dem Militär um.
    »Italien ist ein Staat, der sich auf Geheimnisse, Bomben, Kungelei und verwischte Spuren gründet, Colonnello. Auf welcher Seite stehen Sie? Auf der Seite des Staates, der Geheimnisse, der Kungelei, der Bomben oder der verwischten Spuren?«
    Er sieht auf seine Unterlagen. Eine Antwort ist überflüssig.
    Der Colonnello zögert einen Moment. Dann greift er nach der Klinke, dreht sich um und geht.
    Daniele atmet tief durch und wartet, dass die Angst von ihm ablässt.
    Der Schock kommt ganz plötzlich. Er reißt den Mund auf, ringt verzweifelt nach Luft, als müsste er an seinem Grauen ersticken. Ein Schauder läuft ihm über den Rücken wie eine gierige Bestie.
    Es dauert nur wenige Sekunden. Dann dringt wieder Sauerstoff in seine Lungen. Ein Schweißtropfen rinnt ihm über die Schläfe. Er vergräbt das Gesicht in den Händen und schließt die Augen.
    Er wünscht, die Welt würde verschwinden. Wenigstens für eine Weile.
     
    Als ich aus dem Haus komme, empfängt mich der Schnee.
    Manchmal nehme ich die Welt nicht wahr und schiebe das, was ich für unnötig halte, einfach beiseite. Es reicht, nicht aus dem Fenster zu schauen, den Fernseher oder das Radio nicht anzuschalten, mit sich selbst klarzukommen.
    Ich weiß nicht, wann es zu schneien begonnen hat, aber ich erinnere mich an die Kälte, die mir entgegenschlug, als ich das Fenster aufmachte, um frische Luft hereinzulassen. Und an die Sonne. Als ich das Fenster ein paar Stunden später wieder schloss, war sie noch da. Danach brach mein Kontakt zur Außenwelt ab.
    Den Morgen habe ich mit meinem Verleger am Telefon verbracht und den Rest des Tages mit Schreiben. Das Ergebnis liegt jetzt vor mir, bereit, von meinem Vater in Augenschein genommen zu werden.
    Es ist der Artikel, der alle bereits veröffentlichten Stücke verbindet. Darin sind sämtliche Zweifel, Gewissheiten, Irrwitzigkeiten und Zufälle aufgeführt, die Luca Rossinis Geschichte durchkreuzen. Eine lange Reihe von unbeantworteten Fragen, nötigen Klarstellungen und prekären, nie endgültig geschlossenen Verbindungen.
    Ist er nicht der, der er zu sein vorgibt?
, lautet der letzte Satz,und erst beim nochmaligen Durchlesen fällt mir auf, das Binaghi die gleichen Worte für Francesco Cèrcasi verwendet hat. Allerdings nicht als Frage.
    Wieder und wieder habe ich diesen Satz gelesen. Habe versucht, eine Antwort zu finden, zu begreifen, wer der Mann ist, mit dem alles zusammenzuhängen scheint und der mit nichts in Zusammenhang zu bringen ist. Ich habe mich gefragt, ob es unmöglich ist, derartig hinters Licht geführt zu werden. Nichts verstehen, nichts sehen, nichts wissen. Sich keine Fragen stellen, Ursache und Wirkung nicht zusammenbringen. Blind vertrauen. Immer und unbedingt.
    Ich habe das Dokument mit der gesamten Chronologie der Ereignisse noch einmal geöffnet. Vom Anfang, Ende der Sechziger, bis gestern. Alles ist so klar, so schlüssig, so unwahrscheinlich.
    Es gibt eine Geschichte, die zwischen Antonio Marsiglis Fingern endet und eine parallele, in der Rossini stillschweigend entschlüpft. Für sich genommen, haben sie zwei gegensätzliche Bedeutungen. Stellt man sie nebeneinander, bildet sich ein Abgrund, in den ich am liebsten nicht hineingeschaut hätte.
    Lange habe ich mit dieser Liste vor Augen dagesessen und gehofft, dass sie sich wie durch ein Wunder ändert oder ich einen Fehler bemerke. Als ich den Computer endlich ausgemacht und aufgeschaut habe, überfiel mich die Angst.
    Alles ist gefährlich geworden. Das Arbeitszimmer, das Schlafzimmer, die angelehnten Türen, von denen ich glaubte, ich hätte sie fest geschlossen. Die Schritte, die vom Nachbarn ein Stockwerk höher stammen. Das metallische Klacken des Aufzugs jenseits der Küchenwand. Das Atmen. Das meinige, das ich nicht erkenne und verfolge, wie ein gehetztes Tier.
    Normalerweise dauert es nur einen

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