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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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seine Taten für andere haben? Ich finde nicht.«
    »Wir reden hier über Menschen, die gestorben sind. Ein vier Wochen altes Baby lässt dich völlig kalt?«
    »Ich habe drei Kinder. Wusstest du das nicht? Das wäre auch eine erzählenswerte Geschichte, aber wahrscheinlich interessiert sie dich nicht. Natürlich berührt mich ein kleines Mädchen, das wegen einer Bombe stirbt. Klar. Aber wenn die Frage lautet: ›Fühlst du dich für diese Bombe verantwortlich?‹, dann ist die Antwort nein. Ich habe sie nicht gelegt. Du glaubst, ich hätte die Idee geliefert? Im Grunde stimmt auch das nicht. Ich habe lediglich den Unterschied zwischen dem Mord an einer Person und der Zerstörung einer Kirche erklärt.«
    Ich schlucke. Zum ersten Mal, seit ich ihm begegnet bin, liegt keine Ironie in seiner Stimme. Wenn es in dem Menschen, der vor mir sitzt, irgendwo den wahren Patrizio Benetti gibt, dann könnte ich wetten, dass er soeben gesprochen hat.
    »Und dann?«
    »Und dann habe ich den Maresciallo getroffen und es ihm gesagt. Einfach so, klipp und klar. Er behauptet, die Sache gehe ihn nichts mehr an, er müsse mich an jemand anders verweisen und er habe schon das eine oder andere in die Wege geleitet. Und ich hab ihn gefragt, was passieren würde, wenn die vorhätten, den schiefen Turm von Pisa in die Luft zu jagen. Er ist von der Schutzbehörde für kulturelles Erbe. Mehr Schutz geht kaum.
    Aber er reicht mich weiter. Er meint, die würden mich anrufen, das sei deren Sache. Ich habe nie einen Anruf erhalten. Ich glaube, ich habe ihn noch ein paar Mal darauf angesprochen. Und er hat es wohl an seine Vorgesetzten weitergegeben, doch das Telefon ist stumm geblieben. Dann habe ich rausgekriegt, dass es da Verhandlungen mit dem ehemaligen Bürgermeister von Palermo gibt.« Er schnaubt vor Wut und Müdigkeit. »Und da habe ich begriffen, wieso sich nichts tut. Ich hab mich dann wieder mit der Polizei in Verbindung gesetzt, und die haben mich zur DIA geschickt. Dieselbe Leier, die vier Namen, Donnies Forderung, die Gemälde, die Möglichkeit, mich einzuschleusen. Und die gleiche Antwort.«
    »Bis wann hast du ihn getroffen?«
    »Donnie? Bis zum Ende des Jahres. Silvester ’92 war ich in Sizilien. Wir hatten uns verabredet, ich fühlte mich verfolgt und bin nicht hingegangen. Danach hat er mich ein paar Mal angerufen. Aber ich habe mich in Luft aufgelöst. Irgendwas war faul.«
    Ich nicke, um Zeit zu gewinnen und der leisen Ahnung, die mich beschleicht, nicht zu viel Gewicht beizumessen. Zwei Wochen nach diesem Silvester in Sizilien landet Totò Riina im Knast. Zufall, natürlich.
    »Und ihr habt euch nicht mehr wiedergesehen?«
    »Nein. Das war’s. Im März ’93 wird dieses Urteil fällig. Ich weiß, dass sie mich einlochen werden, und verschwinde.«
    »Und wie oft davor …«
    »Noch drei, vier Mal, keine Ahnung. Mindestens zweimal bei ihm zu Hause. Den Steinbruch hab ich zum Glück nicht mehr wiedergesehen.«
    »Ihr werdet doch wohl nicht immer nur ein nettes Schwätzchen unter Freunden gemacht haben.«
    Er breitet die Arme aus.
    »Es gibt solche Schwätzchen und solche Schwätzchen. Er hat mir ein paar gefälschte Papiere gegeben. Ein bisschen Koks. Nichts Besonderes. Das war, um … die Aufmerksamkeit am Leben zu halten.
    Ich grinse. Die Aufmerksamkeit am Leben halten. Als hätte er das nötig.
    »Weißt du, dass Brusca euch belauscht hat?«
    »Ich hab die Urteile gelesen, in denen von mir die Rede ist.« Er greift nach dem Glas und fährt mit den Fingerspitzen am Rand entlang. »Bei den Sizilianern muss man aufpassen. Was man sagt und auch was man nicht sagt. Vor allem Letzteres.« Er sieht mich unvermittelt an. »Bei dem Leben, das ich führe, sehe ich zu, dass ich immer einen Plan B in der Tasche habe.« Er stellt das Glas ab. »Hast du Heat gesehen, den Film mit De Niro und Pacino?«
    »Bist du ein Fan?«, frotzele ich, doch er hört es nicht. Inzwischen weiß ich, dass er in manchen Momenten für sich selbst schauspielert.
    »Ich bin mir nicht ganz sicher, ob’s wirklich der Film ist. Jedenfalls sagt die Figur von De Niro einen Satz. Binde dich nie an etwas, das du nicht in dreißig Sekunden los wirst, wenn’s drauf ankommt.«
    »Ist das deine Lebensphilosophie oder das Tagesmotto?«
    Er sieht auf die Uhr und fährt sich lächelnd mit der Hand übers Kinn.
    »Das Motto des Tages«, raunt er. »Das erste von vielen.«
    Er beugt sich vor, greift wieder nach dem Glas, trinkt und stellt es zurück.
    »Du glaubst mir

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