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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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sie?«
    »Nein.«
    »Also glaubst du, er könnte sie mir erzählen, oder weißt du es?«
    Er lächelt.
    »Scheißjournaille«, zischt er. »Das erste Mal bin ich vor vielen Jahren hierhergekommen. Für ein paar Tage. Das war Anfang 1994. Wer mich geschickt hatte, wollte, dass ich diesen Mann umbringe.«
    Ich verdrehe die Augen, doch als er mir den Namen des Hausbewohners nennt, starre ich ihn an und werde sehr ernst.
    »Und wieso hast du es nicht getan?«
    »Weil die Anweisungen sich geändert haben. Da bin ich nach Italien zurückgefahren. Aber es gefällt mir hier. Also bin ich später wiedergekommen.«
    »Weiß er das?«
    »Dass ich ihn töten sollte? Nein, natürlich nicht. Er weiß noch nicht einmal, dass es mich gibt. Er verlässt kaum das Haus. Und wenn, dann nur nachts. Zumindest war das früher so.«
    »Und wie komme ich an den ran?«
    »Schreib ihm deine Geschichte. Du wirst sehen, der kontaktiert dich.«
    »Bist du sicher?«
    Zum ersten Mal, seit wir uns getroffen haben, spricht er mich mit meinem Namen an.
    »Enttäusch mich nicht! Als du hierhergekommen bist, warst du dir da sicher, dass ich mit dir reden würde?«
    Ein paar Minuten später begleite ich ihn zu seinem Jeep. Genau hinter meinem Rücken wird in einer Stunde die Sonne aufgehen.
    »Du hast mich absichtlich zu den Schildkröten mitgenommen.«
    Benetti verzieht keine Miene.
    »Vielleicht.«
    Er steigt ins Auto.
    »Wieso hast du mir diese Geschichte erzählt?«
    Er dreht den Schlüssel um, ohne den Motor zu starten.
    »Ich wette, diese Frage hast du allen gestellt, stimmt’s?«
    Diesmal bin ich derjenige, der nicht antwortet.
    »Es gibt keinen Grund, Schreiberling. Vielleicht hatte ich einfach nur Lust dazu.«
    Er startet den Wagen.
    »Wir sehen uns in Italien.«
    »In Italien?«
    Er nickt.
    »Ich hab die Nase voll vom Meer. Und die meisten meiner Vergehen sind so gut wie verjährt. Wenn ich ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudere, komme ich auch noch um das herum, was davon übrig ist.«
    »Du willst auspacken? Das glaube ich beim besten Willen nicht.«
    Er lächelt.
    »Es gibt viele Arten, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Und viele Arten, die Dinge zu erzählen.«
    »Vielleicht.«
    Ich sehe ihn abwartend an.
    Seit er mit seiner Geschichte fertig ist, lässt mich eine Kleinigkeit nicht mehr los. Ich befürchtete schon, es würde mir einfach so herausrutschen. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich mich zurückhalten. Jetzt ist der richtige Moment gekommen, und das entgeht ihm nicht.
    »An was denkst du?«
    Ich lache. Über seine lächerliche Art dazusitzen. Über das unbegreifliche und entsetzliche Gefühl, dass ich, wüsste ich nicht, was er getan hat, ebenso gut sein Freund werden könnte.
    »An etwas, das mir schon eine ganze Weile durch den Kopf geht.«
    Er nimmt die Hände vom Steuer.
    »Na, los.«
    »Als Falcone stirbt, steckt der Staat bis zum Hals in der Scheiße. Ich weiß es noch genau, ich war dabei. Tangentopoli lässt das ganze Kartenhaus zusammenbrechen, und die Mafia jagt Autobahnen in die Luft. Dann wird Borsellino umgebracht, und das Blatt wendet sich. Es folgt die Verlegung nach Pianosa und der harte Knast. Schluss mit den Langusten, nicht einmal seine Tochter darf man mehr berühren. Dann folgt eine große Festnahme nach der anderen. Es weht ein anderer Wind. Und die Reaktion darauf wird nicht ausbleiben. Und rein zufällig plaudern du und dein Freund Patti über den schiefen Turm von Pisa. Ist das nicht seltsam?«
    »Gerede, hab ich doch gesagt.«
    »Gerede«, flüstere ich. »Gerede. Darf ich dich was fragen?«
    »Du bist doch Journalist.«
    »Ganz genau. Wenn du wüsstest, dass einer ein ganz großes, lautes Exempel statuieren will, was sollte er deiner Meinung nach tun? Einen Politiker umbringen? Einen Staatsanwalt? Oder nachts Bomben in Denkmälern deponieren? Würdest du lieber zur x-ten Beisetzung eines Richters gehen oder die Kirche von Velabro einstürzen sehen? Und wenn du die Möglichkeit hättest, würdest du nicht versuchen, auf die Entscheidung Einfluss zu nehmen? Man braucht natürlich den richtigen Mann am richtigen Ort. Den Kontakt mit den richtigen Verbindungen, den Möglichkeiten, der Erfahrung. Und dem Mut.«
    Er antwortet nicht und verzieht den Mund zu einem fast herausfordernden kleinen Lächeln.
    »Darf ich dir einen Rat geben?«
    »Du betrachtest diese Geschichte durchs Schlüsselloch. Ich meine deine Geschichte, die du mir erzählt hast. Vielleicht hast du nach unserer kleinen Unterredung die

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