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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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Seiner Eskorte hat er gesagt, es handele sich um einen Freund der Familie, und sich begleiten lassen. Seit einer Ewigkeit hat er die Berge nicht mehr gesehen.
    Das letzte Mal bei seinem vorigen Treffen mit dem Alten.
    »Ich habe mich geirrt«, sagt er. »Und ich bin gekommen, um es wiedergutzumachen.«
    Der Alte mustert ihn stumm. Er starrt ihn an, eine Haarsträhne fällt ihm ins Gesicht, die braungebrannten Hände sind reglos. Schließlich schüttelt er langsam den Kopf.
    »Sie nicht, Dottore. All die anderen. Sie haben es immer gewusst.«
    Daniele atmet tief durch. Im Haus des Alten gibt es keine Nippes. Nur ein Foto auf einer Konsole im Wohnzimmer.
    Sein Sohn Vittorio, dessen Frau, ein Kleinkind.
    »Was wollen Sie wissen, Dottore?«
    »Ich bin nicht hier, um Ihnen Fragen zu stellen. Nur, um Ihnen zu sagen, dass ich wieder anzufangen gedenke. Und dass Sie für eine Weile weder etwas erhoffen noch erfahren dürfen.«
    Ein blasses, kleines Lächeln erscheint auf dem Gesicht des Alten.
    »Sie sind klüger als ich dachte. Das erste Mal, als wir uns gesehen hatten, glaubte ich, Sie wären ein bisschen blöd.«
    Daniele lacht.
    »Es freut mich, dass Sie Ihre Meinung geändert haben.«
    »Nicht ich habe meine Meinung geändert, sondern Sie. Möchten Sie einen Kaffee?«
    »Danke, sehr gern.«
    Der Alte erhebt sich, führt ihn in die Küche, setzt die Espressomaschine auf und serviert die kochend heiße Flüssigkeit in zwei Gläsern.
    »Ich trinke ihn so«, sagt er.
    Daniele nickt, und der Alte leert sein Glas in zwei Schlucken. Dann stützt er die Ellenbogen auf den Tisch und legt das Kinn auf die gefalteten Hände.
    »Es sind Dinge geschehen«, sagt Daniele.
    Der Alte sieht jäh auf und heftet den Blick abwartend auf den Richter.
    »Dinge, die mich unser letztes Treffen in einem anderen Licht sehen lassen.« Er trinkt seinen Kaffee. »In gewissem Sinne hatten Sie recht. Ich habe mich ziemlich blöd angestellt.«
    Der Hausherr lächelt. Er nimmt die Gläser, steht auf, dreht den Wasserhahn auf, lässt sie volllaufen, stellt sie im Spülbecken ab und trocknet sich die Hände.
    »Dass sie ihn umgebracht haben, ist unsere Schuld.«
    Danieles Satz trifft den Alten wie der Schmerz einer fernen Erinnerung. Er schluckt ein paar Mal mühsam. Dann legt er sich die Hand ans Gesicht, geht zum Fenster und wendet dem Richter den Rücken zu.
    Draußen ist ein sonniger Tag.
    Allzu sonnig.
    Wie jener verdammte Sonntag.
     
    Vittorio Boni überquert die Straße und blickt sich um. Es ist acht Uhr abends und die Sonne scheint noch. Ein höllisch heißer Tag. Vom August kann man keine Gnade erwarten.
    In den ersten Jahren in Sizilien träumte er von den kühlen Südtiroler Nächten. Die Möglichkeit, sich an den heißesten Nachmittagen in den Schatten eines Waldes zu flüchten. Die Stille, die das Haus seiner Eltern umgab und der er andächtig lauschte.
    In Palermo fühlte man sich in die Enge getrieben. Vom Meer, vom Klima, vom Dialekt, der genauso stark war wie der aus seinen Bergen, jedoch undurchschaubaren Regeln folgte.
    Heute würde er nicht mehr zurück wollen. Und dennoch spielt er seit einigen Wochen mit dem Gedanken.
    »Was meinst du, gehen wir nach Hause?«
    Teresa wirkt sehr müde. Sie verträgt die Hitze noch schlechter, und Vittorio hat sie deshalb oft aufgezogen. Du bist Sizilianerin, sagt er, du müsstest doch daran gewöhnt sein. Man gewöhnt sich nicht daran, in einem Ofen zu leben, pflegt sie zu antworten.
    Er streichelt ihre Wange.
    »Ist gut«, sagt er.
    Sie dankt ihm. Sie hat dunkles, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar. Ein ärmelloses, fast durchsichtiges Kleid. Sie ist genauso schön wie vor fünf Jahren, als er sie getroffen hat. Schlank, obwohl sie vor wenigen Monaten ein Kind bekommen hat. Manchmal sind die Gene ein unerwartetes Geschenk.
    Vittorio schiebt den Kinderwagen nach links. Das Baby schläft, seit sie das Haus verlassen haben, trotz der hupenden Autos, dem Geschrei der Menschen, des organisierten Durcheinanders auf der Strandpromenade. Ein sanfter, tiefer Schlaf, für den sie nachts teuer bezahlen.
    »Dieses Kind wird mal DJ«, sagt Teresa. »Wenn’s dunkel wird, schläft es nie.«
    Vittorio grinst, und sie sieht ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
    »Was hast du?«
    »Heute Nacht tanzen wir Samba.«
    Teresa bückt sich und streichelt die Hand ihres Sohnes. Eine federleichte Geste. Dann nimmt sie den Arm ihres Mannes. Er küsst sie auf die Wange.
    »Was soll man bei dieser Hitze auch machen

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