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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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…«
    Sie schlendern zum Auto zurück, Teresa an Vittorio geschmiegt, der den Kinderwagen schiebt und sich umblickt. Hin und wieder sieht sie gedankenverloren zu ihm auf. Er scheint auf jede Kleinigkeit zu achten. Die Menschen, die Blicke, die Hände, die Art, wie sie näher kommen und sich wieder entfernen. Häufig bleibt er stehen und sieht ihnen nach. Sein Blick folgt einem Moped, beobachtet jemanden, der aus seinem soeben geparkten Wagen steigt.
    Er hat Angst, Teresa weiß es.
    Eines Nachts, als der Kleine gerade eingeschlafen war und das Zimmer wieder im Dunkeln lag, hat sie ihn gefragt.
    »Was ist los?«
    Sie hat keine Antwort bekommen. Eine Weile hat sie gedacht, er wäre plötzlich eingeschlafen. Dann ist dieser Satz gekommen, wie ein Bruchstück aus einem Traum.
    »Es wird nichts geschehen.«
    Es wird nichts geschehen, sagt sie sich seit jener Nacht immer wieder. Es wird nichts geschehen, betet sie in Momenten wie diesem in sich hinein, während die Menschen sich an ihnen vorbeischieben, die Stadt und die Touristen einem die Luft zum Atmen nehmen und die Angst jede Lücke füllt wie Watte, die den zerbrechlichen Inhalt eines Päckchens schützt.
    Es wird nichts geschehen, bedeutet nicht, dass du keine Angst hast, hätte sie antworten sollen. Es wird nichts geschehen, bedeutet nicht, dass du nicht fürchtest, es könnte etwas geschehen. Stattdessen hatte sie sich auf die Seite gedreht und darauf gewartet, dass er sie in den Arm nahm und dass es Morgen wurde, der lästige Wecker auf dem Nachttisch, das Licht, das durch die Fenster fällt, ein neuer Tag, dem man begegnen muss. Der erste mit diesen Worten im Nacken.
    »Soll ich dir helfen?«
    Teresa steht mit dem Kind im Arm neben der geöffneten Wagentür, Vittorio versucht, die Karre zusammenzuklappen und in den Kofferraum zu legen.
    »Dieses Ding hat ein Eigenleben«, sagt er. Teresa lacht. Die Geschicklichkeit ihres Mannes ist ein Mysterium. Mit links zaubert er Gerichte, die unglaublich kompliziert erscheinen, aber er ist unfähig, einen Nagel in die Wand zu schlagen, einen Wasserhahn zu reparieren oder gar einen Buggy zusammenzuklappen.
    Schließlich muss sie die Sache in die Hand nehmen. Sie gibt ihm das Baby, das ruhig weiterschläft, und kurz darauf sitzen sie im Auto.
    »Zum Glück funktioniert bei uns zu Hause alles«, sagt sie.
    »Willst du damit etwa sagen, ich könnte nicht die Waschmaschine reparieren?«
    Er sieht auf die Straße, wartet auf eine Antwort und hält an einer Ampel. Teresa schaut ihn an und kann sich ein Lachen nicht verkneifen.
    Sie lachen beide.
    Dann wird es grün.
    Und das Auto vor ihnen macht keinerlei Anstalten, sich in Bewegung zu setzen.

 
    Das Motorrad wartet am Ende der Straße.
    Der Fahrer trägt einen Helm und schwitzt. Sein Hintermann hat das Visier hochgeklappt und trägt eine offene Jeansjacke. Er hat den einen Fuß am Boden, den anderen auf dem Motorrad.
    Der Motor ist aus, sie stehen vor einem Haus, und es ist für jeden offensichtlich, dass sie auf jemanden warten.
    Jetzt sollte es nicht mehr lange dauern.
    Ein Typ in einem blauen Hemd kommt vorbei und sieht sie an.
    Der Fahrer nickt und zündet den Motor. Sein Beifahrer setzt sich zurecht und klappt das Visier herunter. Gerade noch rechtzeitig, um nicht vor Hitze einzugehen.
     
    »Sei doch froh, das du kochen kannst«, sagt Teresa.
    Und Vittorio lacht nicht mehr.
    Er hupt. Zweimal.
    Die Ampel ist grün, der Wagen vor ihnen ist ausgegangen und springt nicht wieder an, das Auto hinter ihnen steht zu dicht für ein schnelles Überholmanöver. Vittorio legt den ersten Gang ein, lenkt nach links, dann setzt er zurück, kurbelt nach rechts, versucht sich Platz zu schaffen.
    Er blickt in den Rückspiegel. Teresa sagt etwas, das er nicht hört.
    Das Motorrad ist nur wenige Meter entfernt. Der Motor übertönt jedes Wort.
    Teresa schreit.
    Vittorio greift in seine Jackentasche.
    Eine sinnlose, letzte Geste.
     
    »Ich begleite euch.«
    Der Alte war zufällig in Sizilien, zehn Tage Ferien beim Enkel. Mit diesem Satz ist er alt geworden.
    Vor ihm standen zwei Kollegen des Sohnes, denn ein Polizist ist immer ein Kollege. Ruhige Gesichter, vergeblich um Betroffenheit bemühte Blicke.
    Es war vor zwei Stunden passiert, und noch immer hatte der Alte nicht begriffen. Er sollte noch zwei Wochen brauchen, um sich allmählich über alles klarzuwerden.
    Es hat keine Minute gedauert, hatte man ihm gesagt. Fünf Schüsse. Das Kind war ein Versehen gewesen.
    »Ich begleite euch«,

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