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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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kalte Morgenlicht. Dann habe ich seine Tasche gesucht. Und sie nicht gefunden. Das ist wirklich bemerkenswert. Die Geschichte des Landes, in dem ich geboren wurde, ist geprägt von geheimdienstlich vertuschten Bomben und tödlichen Kaffees und Wassergläsern. Und von zwei Gegenständen, die verschwinden: die Tasche meines Vaters und Borsellinos Notizbuch. Wer weiß, vielleicht hätte ein wenig mehr Wachsamkeit genügt.
    Ich habe mich gefragt, was ich tun soll. Ich habe ein Brett des Bücherregals zur Seite geschoben und den Safe geöffnet. Es war alles da. Ein Ordner, eine Handbreit hoch. Am Abend zuvor hatte er Unterlagen kopiert. Der Kopierer stand in seinem Arbeitszimmer, und ehe ich zu Bett ging, hatte er mich gebeten, einen Papierstau zu beheben. Ich habe die Unterlagen genommen und sie im Auto unter dem Ersatzreifen versteckt. Dann bin ich ins Haus zurückgekehrt und habe so getan, als würde ich ihn jetzt erst finden. Dank dieser Unterlagen habe ich die Geschichte meines Vaters rekonstruieren können, die Kanäle, durch die das Geld kam und ging, die ganze Geschichte, die ich Ihnen nur in groben Zügen erzählen konnte.«
    Er sieht auf und blickt mich an. Seine Hände ruhen beschützend auf der Mappe.
    »Hier drin befindet sich eine Liste der von meinem Vater mittels einer seiner Offshore-Kanäle finanzierten Unternehmen. Konkret geht es um Aktienbeteiligungen – die Anteile sind hier aufgeführt – einer bestimmten Gesellschaft, in der sein Kapital und das der Vatikanbank zusammenflossen. Der Großteil des investierten Geldes stammt aus illegalen Quellen. Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Unterschlagung. Manchmal alles auf einmal. Ein Teil des Geldes gehörte der organisierten Kriminalität, der Mafia von Stefano Viola und den Corleonesi.«
    »Wieso geben Sie das nicht einem Richter?«
    »Das würde ich tun, wenn sie juristisch relevant wären.« Er trommelt mit den Fingern auf die Mappe. »Und wenn ich nicht befangen wäre. Es ist doch klar, dass ich das Geld meines Vaters verwendet habe, meinen Sie nicht? Und es ist auch klar, dass ich es noch immer tue, um am Leben zu bleiben. Das haben Sie selbst erlebt. Es wäre einfach, mich fertigmachen zu lassen, ohne dafür belangt zu werden. Aber ich ziehe es vor, im Hintergrund zu bleiben, zu beobachten, das Rüstzeug zu liefern, wenn Sie mir das Wortspiel erlauben. Und dies hier ist Stoff für einen Journalisten, nicht für einen Richter.«
    Er hält mir die Mappe hin. Ich greife danach, und es ist, als würde ich eine offene Wunde berühren.
    »Darf ich mir eine Prognose erlauben und Ihnen einen entsprechenden Rat geben?«
    Ich antworte nicht.
    »Ich glaube, irgendwann werden Sie gezwungen sein zu handeln, werden Sie sich entscheiden müssen: aufgeben oder noch härter zur Sache gehen. Alles riskieren. Die werden sich nicht unterbuttern lassen, aber sie könnten einen Fehler machen, wenn man sie provoziert. Sicher ist, dass sie reagieren werden, und zwar schnell und womöglich heftig.«
    »Ihr Rat?«
    »Sollten Sie beschließen, aufs Ganze zu gehen, lassen Sie sich nicht einschüchtern.« Er lässt den Blick durchs Zimmer wandern. »Ich habe in diesen Jahren viel darüber nachgedacht, was in einem Moment wie diesem wohl passieren würde. Wenn der Gestank wieder an die Oberfläche käme. Und ich bin immer wieder zu dem gleichen Schluss gekommen. Es wird aus zwei Gründen passieren. Zufall und übereinstimmende Interessen. Es wird jemandem, der ausreichend betroffen ist und sich nicht um den Gegenwind schert, von Nutzen sein.«
    »Und Sie glauben, derjenige sei ich?«
    Er breitet die Arme aus.
    »Wer weiß? Ich nicht.« Er lächelt. »Und Sie auch nicht.« Er räuspert sich, um die Distanz zu mir und zur Vergangenheit wiederherzustellen.
    »In diesen Unterlagen werden Sie zahlreiche Tabellen und wenige Schriftstücke finden. Der Großteil betrifft Zahlungsein- und -ausgänge auf Girokonten, die schon seit langer Zeit geschlossen und unmöglich zu rekonstruieren sind. In den seltenen Fällen, in denen eines der Konten noch existiert, sind die Abrechnungen verschwunden. Die Geschichte meines Vaters ist voller verschwundener Mikrofilme, verbrannter Unterlagen und Leute, die ihre Spuren verwischt haben. Oder die irgendwo hinter dicken Kirchenmauern im Trocknen sitzen. Anfangs dachte ich, ich würde das alles niemals durchschauen. Dann habe ich angefangen, mich schlauzumachen. Und nach und nach habe ich herausgefunden, dass die Summen haargenau mit den Kontobewegungen

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