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Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
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fünfzehn Jahren nicht mehr, schätze ich.«
    Der andere Mann ist jünger und grinst.
    »Ein guter Grund, wieder anzufangen.«
    Der Mann grinst zurück. Er macht eine knappe Handbewegung Richtung Ausgang. Sie setzen sich in Bewegung. Draußen erwartet sie das übliche Herbstgrau. Wenige Menschen schlendern zwischen dem riesigen Parkplatz und der Glastür der Raststätte hin und her. Wenige Meter entfernt der stete Autobahnverkehr.
    Der Jüngere holt ein Päckchen Zigaretten hervor und bietet ihm eine an. Der Mann lehnt ab, schlägt den Jackenkragen hoch und vergräbt die Hände in den Taschen. Der Jüngere zündet sich die Zigarette an und zieht daran.
    »Kalt heute«, sagt er.
    Den anderen Mann scheint das Herumgeplänkel zu nerven.
    »Er stirbt.«
    Der Junge sieht einem LKW nach, der zu schnell auf eine Zapfsäule zufährt.
    »Wann?«
    »Bald. Und unser Freund kehrt auf seine alten Pfade zurück.«
    »Wann?«
    »Sobald sie ihn wieder fragen. In ein paar Tagen.«
    »Habt ihr ihm erklärt …«
    »… dass das Tauziehen ein Ende haben muss, na klar. Das ist das letzte Mal.«
    »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
    Der Mann holt die Hände aus den Taschen und reibt sie aneinander. Er trägt einen sehr alten Goldring mit rotem Saphir.
    »Vertrau mir«, sagt er. Er starrt geradeaus.
    Ein Kind stürmt Hand in Hand mit der Mutter die Treppen hinauf.
    Der junge Mann wirft die Zigarette weg.
    »Erzähl mir von Ignazio Solara.«
    Der Mann mit dem Saphir kommt ganz nah an ihn heran.
    »Die Angelegenheit Ignazio Solara ist unter Kontrolle.«
    Er sieht auf die Uhr, nimmt die erste Stufe, dreht sich um, knufft dem Jüngeren gegen die Wange.
    »War nett, dich kennenzulernen«, sagte er. »Aber du kannst deinem Chef sagen, das nächste Mal soll er mir keinen Laufburschen schicken.«
     
    Ich lege den Kopf auf das Kissen und rücke die Ohrstöpsel des Telefons zurecht. Am anderen Ende der Leitung redet Giulia seit über zehn Minuten von ihrer Abreise. Sie ist glücklich, das höre ich.
    Sie hat die gleiche Stimme wie ihre Mutter. Als sie mir von Michael erzählte, habe ich mich gefragt, ob Elena auch so weich und heiter klang, wenn sie von mir erzählt hat.
    Mit Gefühlsdingen war ich noch nie besonders gut. Entweder zu weit weg oder zu nah dran. Zu distanziert oder zu betroffen. Das war bei meiner Frau so und ist bei meiner Tochter so. Ich finde einfach den richtigen Abstand nicht, und im entscheidenden Moment bin ich dann in der falschen Verfassung.
    »Hörst du mir zu?«
    »Klar höre ich dir zu. Ihr zieht zusammen, hältst du mich für total vertrottelt?«
    Sie schweigt. Ein plötzliches, verblüfftes Schweigen.
    »Und du bist nicht …«
    Ich falle ihr lachend ins Wort.
    »Stinksauer, doch. Selbstverständlich. Ich bin dein Vater, und du ziehst nicht nur ans andere Ende der Welt, du willst auch noch den gleichen Job wie deine Mutter und dein Großvater lernen, an der bedeutendsten Schule, die es gibt, und mit deinem Freund zusammenziehen, den ich noch nie gesehen habe. Ach, ich vergaß. Ich hab’s von deinem Großvater erfahren, der bestimmt mit dir unter einer Decke steckt. Findest du nicht, dass ich toben müsste?«
    »Und auch deinen.«
    »Bitte?«
    »Und auch deinen Job, Papa. Nicht nur ihren.«
    Jetzt muss ich lächeln.
    »Danke, dass du mich daran erinnert hast.«
    Ich höre sie schlucken. Befangenheiten überwinden ist nicht gerade unsere Stärke.
    »Es tut mir leid, okay? Aber wenn ich dir gesagt hätte, dass ich …«
    »Hätte ich dich nicht unterstützt, nein. Ich bin ein beschissener Egoist.«
    »Ja, so ist es. Kommst du mich besuchen?«
    »Wenn du mir versprichst, dass ich nicht bei dir wohnen muss. Ich würde mich steinalt fühlen.«
    »Wenn die Wohnung so ist, wie ich sie mir vorstelle, hat noch nicht mal ein Hamster bei uns Platz.«
    »Umso besser.«
    »Und deine Geschichte?«
    »Geht voran. Wenn mir wieder einfällt, wie dieser Job überhaupt funktioniert. Vielleicht sollte ich aufhören, mit dir zu reden, immerhin wirst du bald eine Kollegin sein. Womöglich schnappst du sie mir weg.«
    »Weißt du, was ich mir wünsche, Papa? Dass du ein bisschen mehr Vertrauen in das hast, was du kannst. Früher musstest du an mich denken, an das Geld und wie wir über die Runde kommen – glaubst du, das weiß ich nicht? –, aber jetzt ist alles anders. Dass du Kinderbücher schreibst, ist eine Verschwendung.«
    Ich lächele. Verschwendung ist ein schönes Wort. Genau das, was ich aus meinem Wortschatz zu verbannen

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