Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bleiernes Schweigen

Bleiernes Schweigen

Titel: Bleiernes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ferruccio Pinotti , Patrick Fogli
Vom Netzwerk:
versuche.
    »Versprich mir, dass du es versuchst.«
    »Ich versuche es ja. Wirklich. Wenn ich dich besuchen komme, erzähle ich dir, wie es weitergeht, okay?«
    »Okay.«
    »Giulia? Deine Mutter wäre sehr glücklich.«
    Jetzt sehe ich sie vor mir. Sie beißt sich auf die Unterlippe. Knetet den Pulli mit der freien Hand.
    »Papa …«
    »Sag jetzt nichts. Ich könnte es gegen dich verwenden. Wann fährst du?«
    »In drei Tagen.«
    Drei Tage. Adriano, dieser Mistkerl.
    »Du weißt, was du tun sollst, stimmt’s?«
    »Dich anrufen.«
    »Eine Mail tut’s auch. Und am Ende muss ich mir noch eine Webcam zulegen, dann sehe ich dich wenigstens.« Ich seufze tief.
    Ich werde nicht rührselig, nicht jetzt, nicht vor ihr.
    »Giulia?«
    »Ja.«
    »Ich bin sehr stolz auf dich.«
     
    »Heute Abend gehen wir zu Bubi. Geburtstage müssen gefeiert werden.«
    Der Satz meines Vaters lässt mich mit dem Hörer in der Hand und einem verblödeten Gesichtsausdruck zurück. Wir gehen seit Jahren nicht mehr zusammen essen. Und es ist noch länger her, seit ich das letzte Mal meinen Geburtstag gefeiert habe – abgesehen von Giulias Geschenk und ihrem Anruf. Bei Bubi habe ich zuletzt vor Elenas Tod gegessen.
    Dort ist meine Familie immer essen gegangen und dann mein Vater. Allein oder mit mir oder wenn er ungestört über die Arbeit reden wollte. Dort bin ich mit Elena und dann mit ihr und Giulia hingegangen, und damals wurden tatsächlich Geburtstage und Jubiläen gefeiert.
    Heute ist das alles nur noch Erinnerung, und dorthin zu gehen erscheint mir keine tolle Idee. Aber Adriano überrumpelt mich. Er ruft mich an und haut diesen Satz raus, ohne die Antwort abzuwarten. Er stellt mich vor vollendete Tatsachen, und in den Stunden darauf bringe ich es nicht fertig, ihm nein zu sagen.
    Also sitze ich jetzt hier.
    Erfreulicherweise ist der Gastraum nicht mit Tischen zugepflastert, und so kann man sich unterhalten, ohne das Gespräch am Nebentisch mit anhören zu müssen. Außerdem isst man hier noch immer sehr gut.
    Bubi sehe ich erst zum Schluss. Er verschanzt sich in der Küche, schreit und brüllt und staucht ein paar Kellner zusammen, die der Küchenhölle mit verstörten Blicken entfliehen, als wären sie dem sicheren Tod entronnen.
    Dann, als der Gastraum fast leer ist, kommt er heraus und setzt sich zu uns. Er bringt eine Schokoladentorte, die gleiche, die er früher immer gebacken hat. Unwillkürlich muss ich lächeln. Statt mit der Zahl hat er sie mit zwei Fragezeichen dekoriert.
    »Scheiß doch auf die Jahre, die vergehen«, dröhnt er mit seiner Feuerfresser-Stimme. Ich lächle. In all der Zeit hat er sich kaum verändert. Er hat ein paar Kilo mehr drauf und sein Haar ist fast völlig weiß geworden. Er trägt es stoppelkurz und sieht eher aus wie ein Marinegeneral denn wie der Besitzer eines der besten Restaurants, in denen ich je gegessen habe.
    Fast eine Stunde bleibt er bei uns sitzen. Er isst Torte, plaudert von diesem und jenem, lässt ein paar Bemerkungen fallen, wie widerlich ihm diese Stadt sei und dass er es doch nicht packe, sie zu verlassen. Er erzählt uns, sein alter Labrador sei gestorben und jetzt habe er einen neuen, der Angst vor seinem Spiegelbild habe.
    Dann, als wir ganz alleine sind, steckt er eine Hand in die Tasche und hält mir ein Päckchen hin. Ohne Schleife und Kärtchen. Nur Packpapier, braun und rau, mit einer Kordel darum.
    »Ist nicht von mir«, sagt er. »Ich bin nur der Bote.«
    Er steht auf, zwinkert uns zu und geht.
    Ich sehe meinen Vater an. Plötzlich erscheint die Luft zu dick zum Atmen. Es dauert nur einen Wimpernschlag, dann füllen sich meine Augen mit Tränen, die ich nicht weine. Es ist wie eine allergische Reaktion, als wäre Reizgas freigesetzt worden.
    Adriano lächelt leise. Er gießt mir einen Schluck Wasser ein. Ich trinke. Lächle ebenfalls, öffne das Päckchen. Darin ist eine Schachtel, in der normalerweise Visitenkarten stecken. Weiß, makellos, wie frisch gekauft.
    Ein USB-Stick liegt darin.
    Rot, glänzend, mit einer Art Schiebeknopf an der Seite, mit dem man das Metallteil zum Schutz verschwinden lassen kann. Ich lege den Finger auf den Knopf und wage ihn nicht zu bewegen, als würde ich damit eine Atomkatastrophe auslösen. Oder, schlimmer noch, erfahren, was auf dem Stick drauf ist.
    »Wenn du die Wahrheit wissen willst, hier ist sie.«
    Adrianos Worte überraschen mich. Ich sehe ihn abwartend an. Er trinkt einen Tropfen Wein, atmet durch.
    »Schon seit deiner Kindheit

Weitere Kostenlose Bücher