Bleiernes Schweigen
machen, als ich noch eine Stimme gehört habe. Ich konnte sie nicht zuordnen, obwohl sie mir bekannt vorkam. Sie redeten über jemanden, der sich nicht an die Abmachung halten wollte. Von dort, wo ich stand, konnte ich nicht alles verstehen, aber sie wirkten ziemlich wütend. Vielleicht auch ängstlich. Die andere Stimme meinte, sie sollten etwas von Solara sagen. Dass man das wissen sollte, sonst würde es für sie sehr gefährlich werden. Der Dottore hat etwas von einem gewissen Montale gesagt, wenn Montales Freund das erfahren würde, wären sie am Arsch. Die andere Stimme war einen Moment lang still, dann hat sie geantwortet: ›Diese Solara-Sache hängt einem echt zum Hals raus.‹ Dann hat irgendjemand eine Nummer gewählt – ich hab das Piepen der Tasten gehört –, und der andere Mann hat eine Nachricht auf einer Mailbox hinterlassen. Dabei hat er seinen Namen gesagt: Es war Larinzetti, der Chef der Fin Art. Ich hatte ihn ein paar Mal gesehen. ›Jetzt ist es seine Sache‹, hat er gemeint. ›Und wenn dieses Arschloch von Montales Freund es zu weit treibt …‹ Er hat den Satz nicht vervollständigt. Und ich hab begriffen, dass ich dort nicht länger bleiben konnte.
Ich bin zurück zur Tür geschlichen und habe mich bemerkbar gemacht. Sie sind rausgekommen, haben ein Lächeln aufgesetzt, was Larinzetti nicht sonderlich gelungen ist. Ich habe ihnen erklärt, ich hätte mein Handy vergessen. Wir haben es zusammen geholt, und sie haben mich gefragt, ob sie mich nach Hause begleiten dürften, aber ich habe abgelehnt. Sie haben mich zur Tür gebracht, und ich bin gegangen. Am nächsten Tag wirkte alles wie immer. Nur, dass ich das, was ich gehört hatte, einfach nicht losgeworden bin.«
Sie macht eine Pause.
»Eine ganze Weile lang ist nichts passiert. Natürlich hab ich noch immer daran gedacht, aber ich hab versucht, mir die Sache schönzureden. Im Grunde konnte dieser Satz sonst was heißen.«
Sie bricht ab. Ein Auto fährt an uns vorbei. Arianna beißt sich auf die Unterlippe.
»Eines Morgens komme ich ins Büro und hole die Post. Die Telefonrechnung ist auch dabei. Eigentlich kümmert sich eine Kollegin um den Papierkram, aber die ist im Mutterschaftsurlaub. Also mache ich das. Ich hole die Rechnung hervor, trage sie ein und lege sie dem Dottore hin wie immer. Da kommt mir ein Gedanke. Ich kehre zurück und nehme mir die Liste der getätigten Anrufe vor. Ich brauche einen Moment, bis ich finde, was ich suche. Es ist eine Festnetznummer, die letzten drei Ziffern fehlen, aber um das herauszufinden, was ich herausfinden will, brauche ich die nicht. Nach einer Weile kommt der Dottore. Er ist nett wie immer und der Tag vergeht ganz normal. Zumindest will ich ihn das glauben machen, aber eigentlich muss ich die ganze Zeit an diese Telefonnummer denken, die ich eingesteckt habe. Ich warte, bis er weg ist, um der Sache nachzugehen. Es könnte irgendeine Nummer sein, aber ich fange bei der nächstliegenden Möglichkeit an. In unserem Adressbuch gibt es zwei Kontakte, die in Frage kommen könnten. Einer ist ein Restaurant und der andere eine Immobilienagentur. In dem Restaurant bin ich oft gewesen, vor ein paar Jahren hat es geschlossen. Bleibt also nur die Immobilienagentur.«
Sie streift die Kapuze ab. Ihr Haar ist streichholzkurz, sie trägt keinen Schmuck, weder Ketten noch Ohrringe. Mit einer Sonnenbrille könnte sie glatt für einen Jungen durchgehen.
»Am nächsten Tag wähle ich die Nummer von meinem Handy aus. Ich unterdrücke den Anrufer. Niemand geht ran, nur ein Anrufbeantworter ohne jegliche Ansage. Das Tuten hört auf und es folgt der Pfeifton. Immer, egal zu welcher Tageszeit.«
Sie seufzt.
»Weißt du noch an dem Abend in deiner Wohnung? Als ich dir gesagt habe, du müsstest dir klarwerden, ob du weitermachen willst oder nicht? Ob du die Wahrheit herausfinden willst? Tja, durch diese Anrufe habe ich begriffen, dass ich sie herausfinden will. Eine fixe Idee vielleicht, aber ist die Wahrheit nicht eine fixe Idee? Ich weiß es nicht. Ein Zeitvertreib? Um mir das Studium zu finanzieren, hab ich in einer Detektei gejobbt, vielleicht liegt’s daran. Ich habe also beim einzigen Punkt angesetzt, den ich hatte. Ich bin Finanzberaterin bei der Fin Art, quasi die rechte Hand des Dottore. Ich bin schon eine Ewigkeit dort, er vertraut mir. Abgesehen von ein paar ganz großen Kunden, die nur er betreut, kenne ich jeden. Mit Montale war ich nie befasst, also musste ich bei Null anfangen. Zwei Monate nach
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