Bleiernes Schweigen
flüstern.
»Michela.«
»Michela«, wiederholt er. Er drückt die Zigarette aus und macht sich eine neue an. »Wenn der Anwalt das Problem ist, gibt es keine Wahl. Wenn Michela keine Schwierigkeiten mehr machen soll, dann muss man sie umbringen. Und zwar bevor sie redet.« Er blickt mich an. »Mit wem auch immer.«
»Aber wieso im Gericht? Warum so?«
Er nimmt einen hastigen Zug.
»Du enttäuschst mich. Hätten sie sie draußen auf der Straße getötet, sie vielleicht überfahren oder einen Überfall vorgetäuscht, nachdem ein paar Tage zuvor ihr Mandant hopsgegangen ist, hätte bestimmt jemand Verdacht geschöpft. Aber so. Puff. Ich habe einen Verräter getötet. Und wer ihm noch vor den Lauf gekommen ist. Alles ergibt ein perfektes Bild. Das arme Mädchen und das ganze Floskelrepertoire über die Grausamkeit der Mafia.«
Ich atme tief durch. Die Frage ist in meinem Kopf, seit er angefangen hat zu reden.
»Wieso haben sie mich nicht auch umgebracht?«
Danieles Lachen geht in einen Hustenanfall über.
»Was das angeht, können wir nur im Kaffeesatz lesen, mein Freund. Nein, keine Sorge, war nur ein Witz. Wenn du das Ziel gewesen wärst, wärst du jetzt nicht hier. Doch die Frage ist berechtigt. Mir fallen zwei Erklärungen ein. Sie wussten nicht, dass sie mit dir reden wollte, und somit stelltest du keine Gefahr dar. Dich umzubringen hätte außerdem den Plan verwässert. Du hattest nichts mit diesen Toten zu tun, deshalb musstest du am Leben bleiben.«
»Und die zweite?«
»Du bist lebendig nützlicher als tot. Aber, wie gesagt, das sind reine Vermutungen.«
»Kaffeesatzleserei.«
Er nickt.
»So etwas in der Art, ja.« Er senkt die Stimme. »Keine Sorge. Wirklich. Wenn diese Leute dich hätten umbringen wollen, wärst du schon längst tot.«
Ich lächele mühsam. Dann stehe ich auf und hole eine Flasche Wasser und zwei Gläser. Ich trinke zwei Gläser hintereinander aus und behalte die Flasche gleich in der Hand.
»Früher konnte ich die mal singen lassen«, sagt Daniele.
Er fährt mit der Fingerspitze über den Rand seines Glases. Das Geräusch ist klagend, kaum hörbar. Er hört sofort auf, trinkt und fängt wieder an zu reden.
»Michela ist die eigentliche Tote dieses Morgens. Bisher haben wir alles aus der Perspektive von Reale und Mazza betrachtet. Die gibt es auch, keine Frage. Das Szenario sieht vor, dass Reale seiner Anwältin etwas gesagt hat. Etwas ganz Heißes, das mit diesem Solara zu tun hat und Grund genug war, ihn zum Schweigen zu bringen. Und sie mit ihm. In diesem Fall ließe sich die Eile durch die Verhandlung erklären. Wer weiß, was Reale gesagt hätte und ob seine Worte an seiner Position etwas geändert hätten. So lösen sie das Problem. Wenn sie es hingegen auf Michela abgesehen haben, wenn sie aus irgendeinem obskuren Grund etwas weiß, das sie nicht wissen sollte, sieht die Sache anders aus. Manchmal reicht ein Zufall. Das zufällige Mithören eines Telefonats, das versehentliche Öffnen eines Briefes, der nicht für dich bestimmt ist. Die Unfähigkeit, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern. Solche Fälle sind mir oft untergekommen. Und hier kommen wir zum zweiten Punkt. Dem wichtigeren, für dich zumindest.«
»Der da wäre?«
»Woher haben sie es gewusst? Wie sind sie draufgekommen, dass Michela etwas gegen sie in der Hand hatte?«
Ich sehe ihn an. Der Gedanke trifft mich wie ein Schlag. Eine Pistole in der Jackentasche. Ich habe Angst, hat sie gesagt. Und ich möchte am Leben bleiben, wenn das noch möglich ist.
Ich schüttele den Kopf.
Die Angst hat viele Gesichter. Genau wie die Wahrheit.
Oder der Betrug.
»Du hast mich gefragt, ob ich irgendwas über Michelas Arbeitsplatz wüsste. Und ich hab mich schlaugemacht. Der Kanzleichef ist in Ordnung. Anwaltsdynastie, er ist der Letzte der Familie. Normalerweise verteidigt er keine Mafia-Handlanger, aber diesmal scheint er eine Ausnahme gemacht zu haben.«
Ich lasse mich gegen die Rückenlehne fallen.
Mit großer Sorgfalt drückt Daniele die Zigarette aus.
»Du sollst nicht mit leeren Händen gehen. Die Frau des Anwalts ist die Tochter eines Typen, von dem ich schon gehört habe. Er heißt Antonio Larinzetti, ist um die sechzig. Vor zwei Jahren haben wir gegen ihn ermittelt, weil wir den Verdacht hatten, er sei Graffeos Strohmann. Seltsam, nicht wahr?« Er zögert, ob er sich noch eine Zigarette anmachen soll. Dann steckt er das Päckchen weg. »Larinzetti hat mehrere Finanzierungsgesellschaften in ganz
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