Bleiernes Schweigen
man jeden Dreck, der hochgespült wird, auf die schieben.«
»Ich wollte nicht …«
»Nein, nein, ist schon gut. Ich habe das Gleiche gedacht. Genau gesehen gibt es eine Verbindung, eine sehr dünne zwar, aber es gibt sie.« Er stellt das Glas auf den Boden. »Michele Giordano und Francesco Ceccarelli – der Mann, der mit ihm auf dem Boot ist, sein Vize – sind vom SISDE. Derselbe Ceccarelli hängt in dieser Sache mit dem Zettel drin, der in Capaci gefunden wurde und der nicht nur auf ihn verweist, sondern auch auf die Tarnfirma des SISDE, die Gus. Kennst du die Geschichte?«
Auf dem Hügel, auf dem Giovanni Brusca den Auslöser drückt, der Falcone, seine Frau und die Eskorte tötet, wird ein Zettel gefunden. Darauf steht: »Defekt Nummer 2 Kundendienst Gus« . Und eine Telefonnummer. Die Art des Defektes weist auf eine mögliche Klonierung hin. Auch Giuseppe hatte von der Gus gesprochen. Die Handynummer hingegen ist von Ceccarelli.
Ich nicke.
»Gut. Der Mann mit der Zigarette ist also vom Geheimdienst. Die Frau, mit der er Adriano und Elena sprechen lässt, scheint vom selben Verein zu sein. In dem Castello hat Elenas Unterlagen zufolge der SISDE einen inoffiziellen Sitz. An jenem Tag sehen sie auf dem Dach des Mietshauses zwei Polizisten und zwei weitere Männer, die Ersteren nahelegen, zu gehen.«
»Ebenfalls vom SISDE?«
»Woher soll ich das wissen? Ich weiß aber, dass es Polizisten waren, die versetzt wurden, und dass der Bericht verschwindet. Ich weiß, dass Pellegrino Polizist ist. Polizeichef, um genau zu sein – und der untersteht dem Innenministerium –, an der Spitze einer Mannschaft, die sich um einen Geständigen kümmert, der ganz offensichtlich einen Haufen Scheiße verzapft. Siehst du die Verbindung?«
Er beugt sich vor, trinkt einen Schluck und stellt das Glas wieder ab.
»Fehlt das letzte Mosaiksteinchen«, sage ich.
»Das wäre?«
»Der SISDE untersteht ebenfalls dem Innenministerium.«
Er zuckt die Achseln.
»Das hielt ich für selbstverständlich.«
Er steht auf und verschwindet für ein paar Sekunden im Bad. Als er zurückkommt, setzt er sich auf die Sofalehne.
»In der Mathematik nennt man das Reductio ad absurdum. Man verneint die These und versucht zu zeigen, dass die Annahme nicht zu beweisen ist. Wenn wir das in unserem Fall versuchen, kommen wir zu einem bizarren Ergebnis.
Nehmen wir an, Pellegrino wäre in irgendeiner Weise mit den Geheimdiensten verbandelt. Soweit man weiß, gerät Giordano ins Visier der Ermittlungen. Und er ist ein Mitglied des Geheimdienstes.«
Er nippt an seinem Glas und fährt fort.
»Gut. Die Polizei ermittelt gegen ein Mitglied des Geheimdienstes, das mit dem Attentat in der Via d’Amelio in Zusammenhang steht. Da ist dieses Telefonat auf dem Boot, das zu früh erfolgt, um Zufall zu sein. Es gibt Kontakte, die es zu untersuchen gilt. Die Richtung ist offensichtlich. Doch an diesem Punkt pfeift das Innenministerium Pellegrino am Ende des Jahres nach Rom zurück und teilt ihm eine andere Aufgabe zu. In der Zeit schreibt Elena, der SISDE würde aus dem Castello verschwinden. Wieso rufen sie Pellegrino zurück? Die naheliegende Antwort wäre, dass er jemandem zu nahe gekommen ist, dem er nicht zu nahe kommen durfte. Vielleicht nicht Giordano direkt, aber seinem Umfeld. Sie checken Hotelaufenthalte und Telefonate – auch Elena erwähnt das in ihren Aufzeichnungen –, wer weiß, was da zu finden ist. Oder was sie gefunden haben. Tatsache ist, dass es einen Riesenkrach gibt. Sie sind gezwungen, ihn nach Palermo zurückzuschicken. Und hier entsteht die Gruppe. Wohlgemerkt per Regierungsbeschluss. Und sie besteht aus den Namen auf der Liste. Aus denen mit dem Symbol. Und sie kümmert sich um Curatolo, besser gesagt, um sein Geständnis. Denn unser Freund ist bereits im Knast, als die Gruppe entsteht, und ausgerechnet Pellegrinos Leute haben ihn eingebuchtet. Doch mit dem Geständnis lässt er sich fast ein Jahr Zeit.«
»Negativ betrachtet könnte man sagen, das ist kein Zufall.«
»Negativ betrachtet könnte man sagen, das ist ein Geheimdienstbefehl. Aber wir bewegen uns noch im Bereich der Vermutung. Das alles lässt sich nicht beweisen.«
Ich schnappe mir ein Bier und gehe zum Fenster. Die Dunkelheit draußen ist zu undurchdringlich, als dass sie mir keine Angst machen könnte. Ich trinke. Denke an etwas, das ich in Elenas Unterlagen gefunden habe. Beim ersten Lesen habe ich es nicht verstanden, und in Danieles Papierwust könnte ich es
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