Bleischwer
wie eine Rauchbombe. Ihr schnürte sich die
Kehle zu. »Ich kenne Peter seit vielen Jahren«, wehrte sie sich halbherzig und
mit einem Kratzen im Hals. Sie sah das breite Grinsen Odenthals vor sich. Das
ewig lachende Honigkuchenpferd. »Er ist kein schlechter Kerl.«
»Aber
ein Mörder.« Michaels bandagierte Hände fuhren in die Höhe und strichen durch
sein Haar. »Für mich schließt das eine das andere nicht aus.«
Sonja Bohrs Schwester war eine
schlanke, hübsche und – wahrscheinlich durch allzu reichliche Sonnenbankbesuche – früh
gealterte Brünette mit hellen Strähnchen im Haar und braunen Augen. Ihre zu
exakten, hauchdünnen Bögen gezupften Augenbraue schnellten fragend in die Höhe,
als Jule das winzige Kosmetikstudio im Anbau des Reiheneckhauses betrat. Vor
ihr saß, zurückgelehnt und mit geschlossenen Augen, eine ältere Kundin, deren
Make-up gerade den letzten Schliff bekam.
»Sie
sind sicher Frau Maiwald? Sie hatten vorhin angerufen?«, vergewisserte Melanie
Pütz-Coenen sich. Ihre Finger mit den rosaweißen French Nails hielten ein
kleines Pinselchen. »Bin in fünf Minuten fertig, ja? Setzen Sie sich doch
bitte.«
Ihr
schmaler Arm wies schwungvoll zu drei Cocktailsesseln, die sich um einen runden
Glastisch gruppierten.
»Da
drüben steht eine Kaffeepadmaschine.« Wieder schwang der Arm mit dem Pinsel
durch den Raum. »Bedienen Sie sich einfach.«
Das
ließ Jule sich nicht zweimal sagen. Kaffee ging immer.
Bald
beobachtete sie fasziniert, genüsslich ihren Cappuccino schlürfend, die
wirbelnden Hände Melanie Pütz-Coenens. Die Frau verströmte hektische
Betriebsamkeit, aber gleichzeitig etwas wie Leidenschaft. Hier war eine
Künstlerin am Werk, die liebte, was sie tat. In Jule regte sich Neid. Sie
selbst hatte nie eine solche Passion im Beruf verspürt. Sicher war es ein
wichtiger und sinnvoller Job, den sie als Sachbearbeiterin beim Diakonischen
Werk verrichtete, aber er erfüllte sie nicht. Die Kosmetikerin jedoch schien
ganz in ihrem Element zu sein. Immer wieder trat sie einen Schritt zurück, um
den Fortschritt ihres Werkes zu betrachten. Dann machte sie noch einen
Pinselstrich rechts, einen links. Ein kritischer Blick. Nun ein Lächeln.
»Perfekt!«,
triumphierte sie. »Frau Niemeyer, ich bin fertig. Sie dürfen die Augen öffnen.«
»Dat
hässe mal widder prima hinjekritt, King. Nit schleit, nit schleit«, lobhudelte
die Kundin begeistert.
Das
Make-up war wirklich gut gelungen. Unaufdringlich betonte es das Schönste im
Gesicht der Mittsechzigerin: die Augenpartie. Die zahlte nun und stolzierte
dann hochzufrieden durch die Glastür hinaus in den gepflasterten Vorgarten.
»So, nun zu Ihnen, Frau
Maiwald.« Frau Pütz-Coenens fachmännischer Blick glitt über Jules Gesicht. Jede
Hautunreinheit, jedes noch so kleine Fältchen, jeder Pigmentfleck wurden
eingescannt. »Was darf ich für Sie tun?«
»Och.«
Jule hatte keine Ahnung. Sie war noch nie zuvor bei einer Kosmetikerin gewesen.
»Ich möchte nur etwas … frischer aussehen, das ist alles.«
»Okay … «
Wieder betrachtete die fremde Frau sie prüfend, schnalzte mit der Zunge.
»Augenbrauen würde ich sagen, aber nur die Linienführung bereinigen. Ein
Peeling vielleicht, danach Feuchtigkeitscreme und am Schluss ein sehr dezentes
Make-up, kein Lidschatten … Weniger ist bei Ihnen mehr, Frau Maiwald. Sie haben eine sehr
schöne Haut, feine Poren, ebenmäßig. Das sollte hervorgehoben werden.
Einverstanden?« Melanie Pütz-Coenen schaute die neue Kundin gespannt an. Dann
ergänzte sie mit kritischem Blick auf Jules Hände: »Allerdings hätten es Ihre
Fingernägel nötig. Dringend, würde ich sagen. Aber dafür müssten wir einen
neuen Termin machen … «
Jule
nickte zu allem, völlig überwältigt. Wenige Minuten später saß sie entspannt
mit geschlossenen Augen da und ließ die Kosmetikerin gewähren. Es war eine
Wohltat. Sanfte Hände umschmeichelten ihr Gesicht, trugen Cremes auf,
massierten hier, massierten da. Erst das Augenbrauenzupfen brachte sie wieder
in die Realität zurück. Es ziepte unangenehm und Jule erinnerte sich, warum sie
hergekommen war. Behutsam wagte sie den ersten Vorstoß.
»Schön,
dass es direkt geklappt hat. Den Termin bei Ihnen, meine ich. Nach der ganzen
Aufregung auf dem Campingplatz hatte ich das Gefühl, unbedingt etwas für mich
tun zu müssen … «
»Mmm.«
Frau Pütz-Coenen war wohl voll auf die Augenbrauen konzentriert.
Jule
ging zum Frontalangriff über.
»Erst
die Flucht
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