Bleischwer
kommen, hat sie ihm eingeredet. Auch wenn sie
später behauptete, dass es bloß Spaß gewesen sei. Als die Katastrophe
passierte, Stefan diesen Polizisten erschoss und in den Knast wanderte, hat sie
ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Ich hab ihm ein paar Mal
geschrieben, merkte aber schnell, dass ihm die Trennung von Sonja sehr zusetzte
und er in mir bloß die Chance sah, etwas über meine Schwester zu erfahren. Die
war zu der Zeit schon mit Jürgen Bohr zusammen. Hatte ihn in den Ferien bei Oma
und Opa in der Eifel kennen gelernt. Das konnte ich Stefan unmöglich erzählen,
also hab ich irgendwann nicht mehr geschrieben … «
Melanie schluckte. »Dafür habe ich mich geschämt und ihn schnell aus meinen
Gedanken verbannt. Ganz schön gemein. Und bald lernte ich Bernd kennen, meinen
jetzigen Mann. Mit achtzehn hab ich geheiratet. Kurz drauf meldete sich unsere
Älteste an. Hast du eigentlich Kinder?«
»Ja,
einen Sohn. Tobias. Er ist siebzehn und für ein Jahr in den USA.«
Melanie
lächelte verständnisvoll.
»Nicht
leicht, die Kinder ziehen zu lassen, was?« Ohne Übergang kehrte sie zu ihrer
Geschichte zurück. »Ich hatte Stefan völlig vergessen, als Sonja plötzlich
wieder von ihm anfing. War so vor einem knappen Jahr, schätze ich. Kurz bevor
sie in das Haus unserer verstorbenen Großeltern zog. Weil Jürgen sie verlassen
hatte … « Auf Melanies Stirn bildete sich eine steile Falte der
Missbilligung. »Kein Wunder, wie sie mit dem umgesprungen ist. Na ja, wie dem
auch sei. Auf einmal war Stefan Winter wieder ein Thema. Sie erzählte mir von
Briefen, die sie sich schrieben, später sogar von Besuchen. Ich war baff. Hatte
meine Schwester etwa urplötzlich menschliche Züge angenommen?«
Jetzt
war es an der Zeit zu intervenieren, fand Jule.
»Vielleicht
hatte die Krebserkrankung sie verändert?«, erkundigte sie sich testweise. »Hört
man öfters. Im Angesicht des Todes … «
Melanie
blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen.
»Krebs?
Was für ein Krebs?«, wunderte sie sich verdattert.
»Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Wurde mir erzählt. Stimmt das etwa nicht?«
»Nicht
dass ich wüsste!« Melanie schüttelte heftig den Kopf. »Ach Quatsch. Das muss
ein Gerücht sein. Wo hast du das denn her? Sonja war kerngesund, glaub mir. Sie
plante für den Sommer sogar eine Australienreise. Nein, die war fit wie ein
Turnschuh.«
»Mmh … « Jule
überlegte. Konnte sie es wagen? Blitzschnell entschied sie sich für den Sprung
ins kalte Wasser. »Stefan selbst hat es mir erzählt. Einen Tag vor seinem Tod«,
bekannte sie.
»Waaas?«
Melanie riss die lang bewimperten Augen auf. »Was erzählst du denn da?« Sie
sprang auf. Wie unter Strom. Rannte hektisch zur gläsernen Eingangstür und
zurück. »Verarschen kann ich mich selbst.« Wütend funkelte sie Jule an. »Vorhin
hast du behauptet, du kennst ihn nicht. Jetzt beichtest du mir, dass ihr Small
Talk gehalten habt. Was sollen die Spielchen?«
Mit dem
Schnellschuss hatte Jule sich ja etwas Schönes eingebrockt. Aus der Nummer kam
sie nicht mehr raus. »Es stimmt wirklich«, stotterte sie und sah ihr empörtes
Gegenüber beschwörend an. »Er … er kam zu Michael Faßbinder in … das
Mobilheim auf dem Campingplatz … und … «
Verzweifelt
bog sie sich eine halbwegs glaubwürdige Geschichte zurecht, in der sie das Geld
aus dem Bankraub, das Gedicht und den Maiwald’schen Stellplatz wohlweislich
unterschlug. Um nichts in der Welt würde sie Michael in die Pfanne hauen.
Obwohl es schien, dass Melanie Pütz-Coenen den toten Stefan Winter so gern
gehabt hatte, dass sich ihre Parteinahme wahrscheinlich auch auf seinen Freund
ausdehnen würde. Trotzdem, sicher war sicher.
»Stefan
wollte eigentlich zu deiner Schwester ins Häuschen«, erläuterte Jule weiter.
»Doch im Dorf wimmelte es von Polizisten. Also hat er bei Michael im Mobilheim
Unterschlupf gesucht.«
»Wie
ging es ihm?« Melanies Stimme klang belegt. Endlich schien sie Jule Glauben zu
schenken.
»Er
hatte sich völlig aufgegeben. War total fertig.« Jule rief sich Stefans Zustand
ins Gedächtnis, als er bei ihr im Wohnwagen gewesen war und später während des
belauschten Gesprächs in Michaels Wohnzimmer. »Das einzige, was er wollte, war
Sonja irgendwie beizustehen. Wegen ihrer Krankheit.«
Erneut
lief Melanie wie aufgescheucht durch den Raum. »Diese falsche Schlange!«, stieß
sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Ich hasse sie.« Dann begriff
sie wohl, was sie da von
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