Bleischwer
Abschlussuntersuchung wegen
des Lendenwirbels. Da passt 12 Uhr ganz gut.«
Mit
einem äußerst mulmigen Gefühl im Bauch schlief sie schließlich ein.
Donnerstag. 9.00 Uhr. Jule fuhr
den Audi aus der Garage. Fröhliches Vogelgezwitscher hatte sie in den Morgen
getragen. Nun beförderte sie der schwere Wagen sanft schnurrend aus Büttgen
hinaus.
Über
den Erdbeerfeldern zwischen Büttgen und Holzbüttgen lag ein feiner Dunst. Die
Welt wirkte sauber und frisch gewaschen. Jule beneidete eine Hundebesitzerin,
die mit ihrem Golden Retriever über einen matschigen Feldweg stapfte. Spazieren
gehen, müßig und ohne Sorgen, das wäre wunderbar, dachte sie. Sie blickte nach
oben und sah gleich zwei Linienflieger hoch in der Luft. Der Düsseldorfer
Flughafen ließ grüßen. Weiße Kondensstreifen schnitten den tiefblauen Himmel in
feine Scheiben.
Sie
fuhr auf die Autobahn auf und quetschte sich schließlich mitten in der Rushhour
zusammen mit Hunderten und Tausenden anderer Kraftfahrer über die
Rheinkniebrücke nach Düsseldorf. Tief unter ihr im breiten Flussbett zogen
Frachtschiffe schwer beladen dahin. Allein eine Schafherde auf den Rheinauen
ließen sich nicht von der Emsigkeit um sie herum anstecken. Gemächlich grasend
sahen sie von oben aus wie in die Wiesen gemalte weiße Tupfer, eins mit sich
und ihrem Dasein.
Jules Stimmung war
zwiegespalten, als sie sich einen Platz im Café ›Rheintraum‹ auf der Kö suchte.
Sie hatte gerade erfahren, dass sie ab Montag wieder arbeiten durfte. Ihr
Rücken hatte sich erstaunlich schnell regeneriert. Die Ärzte waren
hochzufrieden. Das war einerseits gut, andererseits hatte sie furchtbare Angst,
im Büro auf Jan zu treffen. Seit dem Unfall hatte es keinen Kontakt zwischen
ihnen gegeben. Nun würde sie erneut Seite an Seite mit ihm arbeiten müssen. Als
sei nichts geschehen. Wie sollte das gehen?
Jule
setzte sich an ein freies rundes Tischchen mit Blick auf die Kö und auf all die
teuer gekleideten Passanten, die da flanierten, und stellte sämtliche
unangenehmen Gedanken ab. Darin war sie gut, voll im Training sozusagen.
Stur
konzentrierte sie sich darauf, Hermanns Ankunft abzuwarten. Frauen in eng
geschnittenen Kostümen und hochhackigen Stiefeletten stöckelten vorbei, kleine
Schoßhündchen an strassverzierten Leinen ungeduldig hinter sich herziehend.
Geschäftsleute in edlem Zwirn, mit Laptoptasche in der einen und dem
obligatorischen ›Coffee to go‹ in der anderen Hand, blieben ab und an stehen,
um ihre Smartphones hervorzukramen. Fahrradboten radelten pfeilschnell im
Zickzack durch die Menge.
Jule
beobachtete die fremde Welt fasziniert. Business live. Was für ein Gegensatz
zur provinziellen Eifel und selbst zum beschaulichen Kaarst.
Als
Hermann Weyers dann kam, hätte sie ihn beinahe nicht erkannt. Der
Campingplatzbesitzer wirkte um Jahre gealtert, wie in sich zusammengefallen.
Sein Gang war schlurfend, seine Haltung gebeugt. Jule beobachtete ihn entsetzt
durch die Scheibe. Trotz des hohen Alters hatte Hermann Weyers stets sehr vital
gewirkt. Davon war nun nichts mehr zu spüren. Offensichtlich erschöpft betrat
er das Café und schaute sich suchend um. Jule winkte. Er lächelte und steuerte
ihren Tisch an.
»Hallo
Kleine«, begrüßte er sie freundlich. Mit leisem Stöhnen ließ er sich ihr
gegenüber nieder. »Ich hoffe, du hast den Schock inzwischen verkraftet.« Sein
verknittertes Gesicht verzog sich sorgenvoll. »Es tut mir schrecklich leid,
dass das passiert ist.«
Die
verwaschenen, geröteten Augen blickten sie fast furchtsam an. Dann wandte er
sich ab, um die Kellnerin heranzuwinken. Jule bestellte einen Cappuccino, der
alte Mann einen koffeinfreien Kaffee.
Nach
dem ersten Schluck kam Hermann sofort zur Sache. Aus einer speckigen Ledermappe
zog er einen Stoß Papiere. Zunächst übergab er Jule einige Schriftstücke:
Vollmachten für diverse Firmen und ein Schreiben für die Versicherung.
Gewissenhaft las sie alles durch und unterschrieb dann. Anschließend zeigte
Hermann ihr die Pläne, die er – mit offensichtlich zitternder
Hand – gezeichnet hatte.
Er
beschrieb ihr, wie er die Parzelle umgestalten wollte. »Natürlich pflanzen wir
einen neuen Kirschbaum. An der alten Stelle.« Ihr kam es vor, als könne er ihr
nicht in die Augen schauen. Auch für ihn kam es wohl einer Blasphemie gleich,
Opa Maiwald ins Handwerk pfuschen zu wollen. Sein Stellplatz und die
gärtnerische Gestaltung waren ihm heilig gewesen. »Dann setzen wir die
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