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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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durcheinander.
    Geistesabwesend
glättete sie die ungeordneten Papierstapel auf der Ablage unter der Glasplatte
des Couchtisches. Plötzlich hielt sie inne. Der Zipfel einer Zeitung lugte
zwischen Fernsehprogrammen und Wurfsendungen hervor. Neugierig zog sie daran
und erkannte, dass es sich um ein einzelnes Blatt aus der ›Neuss-Grevenbroicher-Zeitung‹
handelte. Beim Blick auf das Erscheinungsdatum runzelte sie die Stirn: Samstag,
letzte Woche. Da war sie noch in der Eifel gewesen. Sie las die Schlagzeile des
die Seite beherrschenden Artikels und erschrak: ›Entflohener Häftling immer
noch auf freiem Fuß. – Die Chronik der Flucht und die Chronik einer Verbrecherkarriere‹.
Der Verfasser des Textes hatte gut recherchiert. Vor allem den Ablauf des
Bankraubes von 1987 schilderte er in allen Einzelheiten. ›Ist Stefan Winter auf
der Suche nach dem unbekannten Komplizen von damals?‹, fragte der Journalist
schließlich, um dann messerscharf zu folgern: ›Ist der mysteriöse Kumpan wie
Winter ein gebürtiger Eifeler? Lagerte die Beute aus dem Bankraub etwa in dem
Eifeldorf, vor dessen Toren man das gestohlene Fahrzeug des flüchtigen Mörders
fand?‹
    Jule
sog scharf die Luft ein. Hier kam jemand der Wahrheit gefährlich nahe. Hatte
auch Jörg das begriffen? Sie hörte Schritte auf dem Parkett in der ersten Etage
und steckte das Papier schleunigst zwischen zwei Reklameblättchen. In dem
Moment kam er schon die Treppe herunter.
    »Wie
war dein Tag?«, fragte er, frisch nach Shampoo und Rasierwasser duftend,
schenkte sich ein Glas Wein ein und ließ sich neben Jule auf das Sofa fallen.
Seine nackten Füße schwang er auf den Polsterhocker. »Hatte Hermann gute Ideen
für deinen Stellplatz?«
    »Ja,
hatte er, aber stell dir vor: Es geht ihm gesundheitlich sehr schlecht.
Prostatakrebs in fortgeschrittenem Stadium.«
    »Oh.«
Jörg nippte an seinem Glas und schaute nachdenklich in die Flammen. »Irgendwann
erwischt es jeden, was? Aber Hermann ist immerhin über achtzig. Ein alter Mann
mit einem erfüllten Leben, auf das er zurückblicken kann. Das schaffen viele
gar nicht erst.«
    »Stimmt«,
pflichtete ihm Jule bei. »Aber ich finde es trotzdem schrecklich. Hermann war
da, solange ich denken kann. Und er kam mir vor wie ein Fels in der Brandung.
Fit, vital, robust. Davon war heute nichts zu spüren. Er sah durchsichtig aus,
weißt du. Hinfällig, greisenhaft. Arme Gerti.«
    Jörg
musterte sie prüfend. »Es ist bestimmt nicht nur die Krankheit, die Weyers
fertig macht«, versetzte er grimmig. »Sein krimineller Neffe trägt die
Hauptverantwortung. Es muss furchtbar für Gerti und Hermann sein zu begreifen,
dass sie sich dermaßen in Faßbinder getäuscht haben. Ich hoffe, die Polizei
findet ihn bald.« Er atmete kurz durch. »Ich verstehe nicht, wie du auf diesen
Typen reinfallen konntest. Ich hab heute mit Leo telefoniert. Er bestätigt,
dass Faßbinder ein vorbestrafter Mehrfachtäter ist. Nicht viel besser als
dieser Winter. Von solchen Leuten muss man sich fernhalten. Es würde mich nicht
wundern, wenn Faßbinder nicht bloß hinter der Brandstiftung, sondern auch
hinter den Morden stecken würde.«
    »Du
weißt, dass das unmöglich ist.« Jules Puls hatte sich beschleunigt. Ihr Herz
raste. Sie wollte dieses Gespräch nicht führen, vor allem nicht nach heute
Nachmittag. Immer noch konnte sie Michaels sanfte Hände auf ihrer Haut spüren.
»Sein Alibi ist unumstößlich.«
    Jörg
sah sie verächtlich an. »Der Typ hat dich um den Finger gewickelt. Ganz klar.
Und er muss es ja nicht selbst getan haben. Vielleicht hat er einen Komplizen.
Solche Kriminellen finden überall ihresgleichen.«
    Jule
war bewusst, dass die Sache im Streit enden würde, aber sie musste einfach
widersprechen.
    »Hör
bitte auf, über Michael herzuziehen. Mit den Vorfällen auf dem Campingplatz hat
er nichts zu tun. Er war ein sehr zuverlässiger Mitarbeiter für Gerti und
Hermann. Nie würde er … «
    »Du
kennst den Mann kaum.« Jörgs Stimme wurde lauter. »Und du wirst ihn sowieso nie
wiedersehen! Entweder er taucht für immer unter oder wird doch noch verhaftet.
Außerdem verbiete ich dir jeden Kontakt mit ihm!« Wütend knallte er das
Weinglas auf den Tisch und sprang auf. »Das Schwein hätte fast unsere Ehe
zerstört! Versprich mir, dass du dich von ihm fernhältst!« Völlig außer sich
durchquerte er das Wohnzimmer, machte kehrt und lief zurück. Unmittelbar vor
Jule blieb er stehen und funkelte sie herausfordernd und

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