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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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wegen des
Teppichmusters zunächst überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Der Fleck war noch
leicht feucht und handtellergroß. Er war von bräunlicher Farbe. Vorsichtig
betastete sie ihn und führte die Finger dann zur Nase. Wie sie befürchtet hatte:
Blut.
    Der
Schock ließ sie erstarren, ihr Denken verlangsamte sich, kam fast zum
Stillstand. Geistesabwesend registrierte sie nun den ebenfalls bräunlichen
Fleck an der scharfkantigen Ecke des Couchtisches.
    Ihr
Gesichtsfeld begann sich einzuengen, und ein immer lauter anschwellendes Summen
dröhnte in den Ohren. Ihr wurde schwindelig. Benommen sank sie auf den Teppich.
Sie schloss die Augen, lehnte sich mit dem Rücken an die Couch und atmete tief
durch. Bloß jetzt nicht ohnmächtig werden. Das nützte niemandem. Vor allem
Michael nicht. So saß sie regungslos da, versuchte, die Kontrolle über sich
selbst zurückzugewinnen.
    Nach
einer gefühlten Ewigkeit fingen Körper und Geist wieder an zu arbeiten. Was
konnte mit Michael geschehen sein? War es sein Blut, das am Tisch und auf dem
Teppich klebte? War er in betrunkenem Zustand gestürzt und hatte sich an der
Tischkante den Kopf aufgeschlagen? Aber wo war er dann? Vielleicht ja nur beim
Arzt. Aber wie war er hingekommen? Warum hatte er sie nicht angerufen? Der Blutfleck
neben dem Sofa kam ihr erschreckend groß vor. Konnte man mit einer solchen
Verletzung überhaupt noch aufstehen, geschweige denn fortgehen? Sie vermochte
es sich nicht vorzustellen. Ihrer Einschätzung nach musste das Blut gestern
Abend oder in der Nacht vergossen worden sein. Sicher nicht erst heute morgen,
mutmaßte sie. Der war Fleck schon ziemlich eingetrocknet. Was aber bedeutete
das? Wo steckte Michael? Warum meldete er sich nicht bei ihr oder hatte nicht
wenigstens einen Zettel hinterlassen? Bedeutete das nicht, dass etwas
wesentlich Schlimmeres geschehen war? Hatte es einen Kampf im Haus gegeben?
Hatte irgendwer Michael niedergeschlagen und fortgeschafft? Aber wer? Kaum
einer wusste, dass er im Haus ihrer Mutter untergekommen war. Nur Jana. Hatte Jana
etwa geplaudert? Es half alles nichts; sie musste mit ihrer kleinen Schwester
sprechen. Mit wackeligen Beinen stand Jule auf. Schnell schrieb sie eine kurze
Notiz an Michael, für den Fall, dass er doch zurückkäme. Dann verließ sie den
Bungalow.
     
    Janas und Sebastians Heim war
eine riesige, weiß verklinkerte, zweieinhalbgeschossige Stadtvilla in U-Form
inmitten eines parkähnlichen Grundstücks im Kaarster Osten. Sebastian, seines
Zeichens erfolgreicher Architekt, hatte das Haus vor einigen Jahren selbst entworfen
und nach eigenen Vorstellungen bauen lassen. Darunter fielen der überdachte
Pool und die separat gebaute Doppelgarage mit Giebeldach.
    Rund um
den Garten verlief eine weiße, zwei Meter fünfzig hohe Mauer. Wer zu Besuch
kam, musste am Tor klingeln und sich an der elektronischen Sprechanlage melden.
Wie bei den Superreichen in Hollywood. Lächerlich! Jana oder Sebastian konnten
dann durch die Überwachungskamera sehen, wer Einlass begehrte und die hölzernen
Flügeltüren mittels Fernbedienung aufschwingen lassen.
    So auch
jetzt. Jule hatte den Wagen an der Straße geparkt und lief die mit Granit
gepflasterte Einfahrt hinauf. Rechts und links säumten in exakte Kugelformen
geschnittene Buxbäumchen den Weg. Eilig strebte sie der Haustür entgegen. Sie
mochte das Haus nicht. Es war ihr zu protzig. Es strahlte Arroganz aus, genau
wie ihr Schwager Sebastian Broich selbst.
    Jana,
wie immer untadelig zurechtgemacht und sorgfältig geschminkt, empfing die
ältere Schwester mit nervöser Verwunderung.
    »Was
machst du denn hier?«, fragte sie leicht hektisch und ließ Jule hinein. »In 20
Minuten muss ich die Zwillinge aus dem Kindergarten abholen.«
    »Es
dauert nicht lang«, versprach Jule und marschierte über den schwarzen,
hochglänzenden Steinboden direkt in die Wohnhalle. Dort drehte sie sich um und
taxierte die Jüngere.
    »Michael
ist verschwunden. Weißt du, wo er ist?«
    Janas
dünne, schwarze Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Nein! Keine Ahnung.« Ihr
Erstaunen schien echt zu sein. »Aber ehrlich gesagt, macht es mich nicht gerade
traurig, dass er abgehauen ist, dieser Schmarotzer«, fügte sie abfällig hinzu.
»Hast du nachgeschaut, ob Wertgegenstände fehlen? Würde mich nicht wundern.«
    »Red’
keinen Unsinn! Da ist ein großer Blutfleck auf dem Läufer im Wohnzimmer, und es
sieht aus, als sei Michael schon seit gestern Nacht verschwunden. Ich habe
furchtbare

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