Bleischwer
Namen seines Komplizen verraten oder
Erhellendes zur Suche nach der Beute beigetragen hätte, wäre das für die
Verteidigung von großem Vorteil gewesen. Nein, der prahlte noch damit, dass
sein Kumpel seinen Anteil auf keinen Fall antasten, sondern gut für ihn verwahren
würde. Darauf könne er sich verlassen. Sodass er nach der Haftentlassung sein
Leben noch in vollen Zügen genießen könne.« Leo seufzte und paffte genießerisch
an dem Rest der Zigarre. Sein Gesicht hüllte sich in blauen Dunst. Jule konnte
sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies genau seinem Wesen entsprach:
nebulös und verschwommen. Nie zuvor hatte sie das mit solcher Hellsichtigkeit
erkannt. »Also konnte Papa wenig für ihn tun. Dieser Winter war ein eiskalter
Mörder, ein Psychopath, wenn du mich fragst. Ich war – ehrlich gesagt – zufrieden mit dem Urteil, auch wenn es für Papa eine herbe
Niederlage bedeutete.« Leo leerte seinen Ramazzotti in einem Zug, blickte Jule
noch einmal tief in die Augen und formulierte bedachtsam: »Ich kann mir
vorstellen, dass dich der Anblick seiner Leiche ganz schön mitgenommen hat,
aber versuche dich damit zu trösten: Dieser Mann, Winter, hatte den Tod
verdient. Er war menschlicher Abfall, nichts weiter. Glaub mir, der Typ ist es
nicht wert, nur einen Gedanken an ihn zu verschwenden.« Noch einmal lächelte er
sanft, dann griff er nach dem Kartenspiel. »So Jungs, ich gebe.«
Hiermit
war Jule Maiwald entlassen. Ihr Herz pochte bis zum Hals, und bevor die Wut in
ihr hochsteigen und explodieren konnte wie ein Silvesterkracher, verließ sie
den Raum. Im Gästeklo atmete sie erst einmal tief durch. Psychopath, klang es
in ihr nach. Menschlicher Abfall.
Zornig
knallte sie den Toilettendeckel gegen den Spülkasten und pinkelte ausgiebig.
Langsam ließ der Druck in ihrem Innern nach. Beim Händewaschen sah sie den
Spiegel und erkannte sich in dem blassen Wesen mit dem wirren Haar kaum wieder.
Gerade trat sie zur Treppe, um nach oben zu gehen, als das Telefon klingelte.
Aus dem
Wohnzimmer erklang raues Männergelächter. Das Klingeln kam aus derselben
Richtung. Sie stieß die Tür auf, durchquerte Zigarrenqualm und Heiterkeit und
griff nach dem Hörer, der auf dem Sideboard unmittelbar neben dem Esstisch vor
sich hin bimmelte.
»Theisen-Maiwald«,
sprach sie mitten in den Lärm hinein und entfernte sich ein paar Schritte von
der Skatrunde. Am anderen Ende der Leitung hörte sie nur leises Atmen.
»Hallo?«, fragte sie. »Wer ist da?«
Wieder
atmete jemand, dann wurde aufgelegt. Stirnrunzelnd starrte Jule auf das Telefon
in ihrer Hand, identifizierte verblüfft die Nummer im Display und runzelte die
Stirn. Schnell verließ sie samt Telefon das Wohnzimmer. Die drei ausgelassenen
Männer hatten nichts mitbekommen. Gott sei Dank. Sie lief ins Schlafzimmer und
schloss hinter sich die Tür. Jetzt drückte sie die Rückruftaste. Erst nach
fünfmaligem Klingeln wurde abgenommen.
»Ja?«,
fragte eine Stimme vorsichtig.
»Micha!«
Jule wurde vor Erleichterung fast ohnmächtig. »Geht es dir gut?«
Stille.
»Geht
so«, sagte er endlich. »Ist mir schon mal besser gegangen.« Wieder pausierte
er. »Aber auch schon wesentlich schlechter.«
Jule
atmete auf. Micha lebte. Er redete. Er hatte sie angerufen.
»Sind
die Rechtsverdreher bei euch zu Hause? Ich habe Stimmen im Hintergrund gehört«,
wollte er nun mit ätzendem Unterton wissen.
»Ja,
Leo, Peter und Jörg spielen Skat. Sie haben gerade angefangen.«
»Du
weißt, wo ich bin, ja? Kannst du kommen? Oder merken die, wenn du aus dem Haus
gehst?«
»Ich
glaube nicht, dass sie was mitkriegen. Der Ramazzotti fließt in Strömen.« Jule
merkte, wie die Sehnsucht ihren Verstand ausschaltete. »Ich komme«, sagte sie.
»Mit Jörgs Firmenwagen. Den hat er weiter hinten an der Straße geparkt. Da hört
er nicht, wenn ich den Motor starte. Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«
»Okay,
aber kannst du vielleicht Schmerztabletten und Verbandszeug mitbringen, ja? Du
musst mich nämlich wieder mal verarzten«, klang es lakonisch aus dem Hörer.
»Ach ja, und was zu essen wäre auch nicht schlecht.«
»Kein
Problem, mach ich. Bis gleich.«
»Jule?«
»Ja?«
»Ich
freu mich auf dich.«
»Und
ich mich auf dich.«
Wenige Minuten später rauschte
sie in Jörgs Mercedes über die ausgestorbene Umgehungsstraße an der alten
Braunsmühle, dem winzigen Flecken genannt Bauerbahn und der Autobahnauffahrt
der A 57
vorbei nach Neuss hinein. Der halbe Inhalt des
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