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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Gefühl tiefer Verlorenheit
zwängte sich in Magen und Brust.
    »Micha,
wo bist du?«, flüsterte sie. »Bist du freiwillig gegangen oder hat dich jemand
gezwungen?« Ihre Lippen spannten sich ausgetrocknet. Plötzlich kam ihr eine
Idee. Noch einmal betrat sie das Gästezimmer. Sie krallte eine Hand in die
Bettdecke und zog mit sie mit einem Schwung herunter.
    Ordentlich
zusammen gefaltet lagen dort ein T-Shirt und eine Boxershorts. Beides hatte
Michael zum Schlafen getragen. Und da wusste sie, dass er nicht von allein den
Bungalow verlassen haben konnte. Nicht er hatte sein Zeug zusammengepackt und
entfernt, sondern ein anderer. Und diesem Anderen war nicht eingefallen, in
Michaels Bett nachzuschauen. Jule griff nach den Kleidungsstücken und roch
daran. Ihr wurde schwindelig, als sie seinen typisch männlich-herben Geruch
wahrnahm. Kurze Sequenzen, wie sie auf dem Sofa seinen nackten Bauch geküsst
hatte und wie seine großen Hände ihre Brüste gestreichelt hatten, flackerten in
ihr auf. Wie sich sein Haar zwischen ihren Fingern geringelt und es in seinen
Augen warm aufgeleuchtet hatte. Behutsam legte sie T-Shirt und Hose zur Seite
und machte das Bett neu. Nun ja, ganz so ordentlich, wie es vorher gewesen war,
kriegte sie es nicht hin.
    Mit
Beklemmung im Herzen und einem sorgenvollen Pochen hinter der Stirn machte sie
sich auf den Heimweg, Michas Schlafzeug sicher verstaut in ihrer Handtasche.
Der Frühling aber hatte jede Farbe verloren und kam ihr blass und verwaschen
vor.
     
    Leo und Peter erschienen
pünktlich um 19.30 Uhr
unter großem Getöse und Hallo. Jörg umarmte die Freunde enthusiastisch, während
Jule sich in höflicher Zurückhaltung übte. Den riesigen Blumenstrauß mit den
frischen bunten Tulpen und den Weidenkätzchenzweigen nahm sie mit einem
freundlichen, aber distanzierten Dankeschön auf den Lippen entgegen. Leonard Fröhlich
musterte Jule mit offen besorgtem Blick. Jule hatte ihn wegen seiner
empathischen Art früher eigentlich besonders gern gemocht. Jetzt zweifelte sie
an der Echtheit.
    Leo war – im
Gegensatz zu seinen beiden Juristenfreunden – kein
durchtrainierter Sportler. Er erlaubte es sich sogar, ein kleines Bäuchlein
über der Jeans zu tragen. Seine Hände waren weich, sein Gang leicht gebeugt. Er
liebte es eher gemütlich und war durch und durch ein Genussmensch. Sein
freundliches, rundes Gesicht mit den treuherzigen Hundeaugen unter dem
spärlichen Haar täuschte so manchen Richter oder Staatsanwalt darüber hinweg,
es mit einem hochintelligenten, knallharten Anwalt zu tun zu haben. Hinter Leos
sanftmütigem Äußeren verbarg sich nämlich ein gewiefter Kämpfer. Einige schuldige
Mandanten hatte er im Prozess rausgehauen und statt einer Haftstrafe einen
Freispruch erwirkt. Außerdem besaß Leo Charme und zwar den seltenen, der Frauen
wie Männer gleichermaßen einwickelt.
    Jetzt
zeigte er sein umwerfendes Lächeln. »Jule, wie schön, dich munter und
unversehrt zu sehen!« Die Milde in seiner Stimme tat gut, wie Honig in einer
heiseren Kehle, und legte sich wie Balsam auf ihre Seele. »Als ich von dem
Brand auf dem Campingplatz erfuhr, war ich so in Sorge, dir könne etwas
passiert sein. Und dann hörte ich von Peter, dass du es warst, die Winters
Leiche gefunden hat. Das muss schrecklich gewesen sein.« Sanft berührte er ihre
Wange. »Es ist nur gut, dass du wieder zu Hause bei Jörg bist.«
    »Ja,
das finde ich auch«, murmelte Jule und versteckte ihr Gesicht schnell hinter
dem üppigen Strauß. Keiner sollte sehen, wie sie errötete. »Aber jetzt kommt
doch endlich rein.«
     
    Während Jörg den Freunden Bier
servierte, holte Jule die Pizza aus dem Ofen. Bald saßen sie zu viert um den
runden Esstisch herum und genossen Margarita, Tonno, Funghi und Salat.
    Leo
seufzte genüsslich. »Man könnte wirklich meinen, du seist Italienerin, Jule«,
schwärmte er. »Die Pizza ist wieder einmal vorzüglich. Der Boden dünn und
knusprig, der Belag saftig.« Er strich mit einer Hand über die Wölbung unter
dem Designerhemd. »Ich genieße jede Kalorie.«
    »Und
ich überlege, wie ich die Biester morgen wieder wegtrainiere«, sagte Peter mit
vollem Mund. »Aber ich kann einfach nicht aufhören zu essen. Es ist einfach zu
köstlich!«
    Jörg und
Jule lachten und wechselten einen verschwörerischen Blick. Früher hatten sie,
wenn sie gemeinsam im Restaurant gewesen waren, den Sex als ›Kalorienabbau‹
bezeichnet, vor allem, als Tobi noch klein gewesen war.
    »Ein
bisschen

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