Bleischwer
wie
geschwächt er war. Beunruhigt löste sie sich aus der Umarmung.
»Komm,
ich verarzte dich erst einmal, und anschließend wird gegessen«, bestimmte sie.
Zügig machte sie sich an die Arbeit. Sie reinigte die Wunde mit einem
Desinfektionsmittel, gab Salbe auf die Blutergüsse und klebte anschließend ein
riesiges Pflaster auf Michaels Stirn. Zum Schluss verabreichte sie ihm zwei
starke Schmerztabletten. Erst danach servierte sie ihm das chinesische Essen.
Irgendwann
konnte Micha nicht mehr und schob Ente, Hühnchen und Reis von sich.
»Das
war gut«, seufzte er. »Aber schlapp fühle ich mich immer noch.« Er grinste
schief. »Kein Wunder nach dem Schlag auf dem Kopf und dem Sturz.«
»Sturz?«
Jule schaute Micha fragend an. Ihr Blick glitt forschend über seinen Körper.
Hatte er etwa noch mehr Verletzungen als die auf der Stirn? Zu sehen war
nichts. Gut. »Erzähl. Alles. Von Anfang an, bitte. Du ahnst ja nicht, welche
Sorgen ich mir gemacht habe.«
Wieder
lächelte er; sie las die Zärtlichkeit darin. Ihr wurde schwindelig. Die
Intensität seiner Gefühle machte ihr Angst, und sie wich seinem Blick aus.
Micha
aber räusperte sich, strich sich mit einer Hand das Haar aus der Stirn, zuckte
kurz zusammen, weil er dabei die Wunde gestreift hatte, und begann, fast emotionslos,
zu erzählen.
Nachdem Jule ihn verlassen
hatte, um nach Hause zu fahren und dort auf ihren Mann zu warten, öffnete er
sich mit leiser Scham eine weitere Rotweinflasche aus dem Keller. Wie ein
eingesperrtes Tier fühlte er sich in diesem Bungalow. Die Untätigkeit machte
ihn reizbar und aggressiv. Das Trinken half dagegen. Es half ebenso gegen die
Einsamkeit, die Schuld und die Ausweglosigkeit. Der Alkohol war ein guter
Kumpel, nicht mehr und nicht weniger. Dafür musste er sich nicht schämen, oder?
Irgendwann schlief er auf dem Sofa ein. Als er erwachte, war es stockdunkel und
eine weitere Weinflasche fällig.
Also
stieg er noch einmal in den Keller, um bald den dritten Reserva des Tages zu
leeren. Dabei zappte er sich durch sämtliche Fernsehprogramme, bis er endlich
bei einem Nachrichtensender hängen blieb, der über die laufenden Ermittlungen
im Fall Winter / Bohr berichtete. Micha sah sein
eigenes Gesicht in Schwarz-Weiß auf dem Bildschirm. Es war ein grausiges Foto;
bestimmt 25 Jahre
alt. Wie ein brutaler Schläger sah er darauf aus. Der Nachrichtensprecher
beschrieb ihn als vorbestraften Mehrfachtäter, gewaltbereit und unberechenbar.
Es liege dringender Tatverdacht vor; zumindest die Brandstiftung auf dem
Eifeler Campingplatz ginge aller Wahrscheinlichkeit nach auf sein Konto. Nun
wurde auch zum ersten Mal die Vermutung geäußert, bei dem flüchtigen Faßbinder
handele es sich womöglich um den Komplizen aus dem Euskirchener Bankraub.
»Die
Spuren der Verbrechen liegen in der Vergangenheit«, orakelte ein Reporter.
Michael
wurde ganz mutlos. Wie sollte es ihm jetzt noch gelingen, den Kopf aus der
Schlinge zu ziehen? Gleichzeitig überlegte er skeptisch, was er Jule Maiwald
zumutete. Zu viel, erkannte er.
Einen
flüchtigen Tatverdächtigen vor der Polizei zu verstecken war kein
Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat. Auf keinen Fall wollte er, dass seine
Freundin mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Dafür war sie ihm zu wertvoll.
Mitten
in diese Grübeleien hinein – der Bericht über die Morde in
der Eifel war längst vorbei – drang auf einmal das Geräusch
von Schritten. Es waren schwere Schritte, zweifellos die eines Mannes, die sich
aus dem Flur des Bungalows dem Wohnzimmer näherten. Micha registrierte das fast
beiläufig. Leider hatte der Wein Körper und Geist bereits zu träge für eine
schnelle Reaktion gemacht. Also blieb er einfach sitzen, während Jörg Theisen
mit zornigem Gesicht und blankem Hass in den Augen das Wohnzimmer betrat. Der
Fernseher tauchte den Raum in zuckendes, bläuliches Licht.
»Na,
wen haben wir denn da?«, fragte Theisen mit gefährlicher Ruhe in der
kultivierten Stimme. »Wenn das nicht das kleine Arschloch vom ›Eifelwind‹ ist,
das sich an verheirateten Frauen vergreift.«
»Na,
und wenn das nicht der Schlappschwanz von Rechtsverdreher ist, der seine Frau
monatelang allein in der Eifel sitzen lässt und sich einen Scheißdreck um ihre
Ängste und Sorgen kümmert«, gab Micha einigermaßen schlagfertig, aber mit
schwerer Zunge zurück.
An
dieser Stelle rastete Jörg Theisen aus. Mit wenigen Schritten war er bei seinem
Rivalen, griff sich eine der leeren Rotweinflaschen und
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