Bleischwer
Zufall.« Ein schneller Seitenblick
zeigte ihr, dass ihr Freund wegen der Sache ein schlechtes Gewissen hatte. »Der
Toyota stand an der Straße vor einem Einfamilienhaus, und der Schlüssel
steckte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich hab gar nicht groß nachgedacht
und bin einfach los. Hinter mir sah ich noch, wie so eine mollige Frau mit
einer leeren Klappbox aus dem Haus gestürzt kam und gewunken und geschrien hat.
Die wollte garantiert Einkaufen fahren und hat dann gemerkt, dass sie die Box
drinnen vergessen hatte.« Er biss sich kurz auf die Lippen. »Da hab ich erst
recht Gas gegeben. Es ging geradewegs nach Neuss, ohne dass ich das extra gemacht
hätte.« Micha strich sich das Haar aus der Stirn und betrachtete Jule
nachdenklich. »Es war wie ein Wink des Schicksals. Das Auto hab ich auf einem
Parkplatz am Hafen abgestellt und bin zu Fuß weiter. Mir ging es total scheiße,
konnte mich kaum noch auf den Beinen halten. Ich hab dann ein Taxi rangewunken.
Als der Fahrer sah, in welchem Zustand ich war, wollte er erst die Biege
machen, aber ich hab mich einfach vor die Motorhaube gestellt und mit den
Geldscheinen gewedelt. Da hat der Typ mich zu einem kleinen, schäbigen Hotel in
der Innenstadt gefahren. War kein Problem, ein Zimmer zu kriegen. Ich hab mich
in voller Montur aufs Bett gehauen und gepennt. Aufgewacht bin ich tatsächlich
erst am Abend gegen halb acht. Ach du Scheiße, dachte ich, und bin direkt los.
Die meisten Leute auf der Straße haben einen Bogen um mich gemacht, abgerissen
wie ich aussah. Erkannt hat mich in dem Zustand Gott sei Dank keiner, aber
jemanden nach dem Weg fragen ging auch schlecht. Nur bei so ’nem Penner, ich
meine, einem echten, einem Obdachlosen, hab ich mich getraut. Der hat mir
freundlicherweise verraten, wie ich die Drususallee finde. In einem Papierkorb
habe ich den Drahtverschluss von einer Sektflasche gefunden. Ideal, um das
uralte Schloss hier oben zu knacken. Die Tür unten war angelehnt, das war mein
Glück. Also, hier bin ich.« Er kehrte die Handflächen nach außen und lächelte
schwach. »In der Höhle des Löwen.«
Jule
starrte ihn fassungslos an. »Obwohl Jörg dir mit der Polizei gedroht hat, hast
du dich hergewagt?«, fragte sie. »Warum?«
»Na,
wegen dem, was dein Mann im Auto zu seiner ›Süßen‹ gesagt hat.« Er musterte
sie, als sei sie begriffsstutzig. »Die Unterlagen, in den alten Akten. Außerdem … «,
jetzt wurde sein Feixen geradezu triumphierend, »hat er nur geblufft. Nie im
Leben würde der mich an die Bullen verpfeifen, denn er hängt selber voll in der
Scheiße drin!« Mit einer Hand klopfte er auf einen Stapel Papier neben sich.
»Und hier ist der Beweis.«
Wenige
Minuten später lag der Rest der heilen Welt, an den Jule eben noch felsenfest
geglaubt hatte, in Trümmern. Und niemals würde sie es schaffen, diese Ruinen
wieder bewohnbar zu machen.
Jörg
hatte sich bereits während des Studiums in Köln gemeinsam mit Leo und Peter mit
allen Einzelheiten des Euskirchener Bankraub vertraut gemacht. Das bewiesen
unzählige Prozessunterlagen, Kopien der Aussagen von Zeugen und vom Angeklagten
selbst sowie Sparkassenpapiere, aus denen klar hervor ging, dass die Räuber
nicht nur 600.000 DM, sondern auch Diamanten im Wert von knapp zwei Millionen
erbeutet hatten. Diese stammten von einem saudi-arabischen Multimillionär, der
damals für kurze Zeit in einem Euskirchener Hotel eingecheckt war, weil er
vorhatte, ein zum Verkauf stehendes, baufälliges Wasserschloss an der Rur zu
erstehen. Es war ihm wohl zu unsicher erschienen, die Juwelen dem Hotelsafe
anzuvertrauen, deshalb ließ er sie im Tresor der benachbarten Sparkasse
einschließen. Jule fand ein vergilbtes Blatt, auf dem mit Schreibmaschine
akribisch jeder einzelne Edelstein und sein jeweiliger Wert aufgelistet waren.
Daneben hatte jemand mit Kugelschreiber die Summen in Euro umgerechnet. Es war
unverkennbar Jörgs Handschrift. Erschüttert schüttelte sie den Kopf.
»Peter
hat vorhin beim Skat auch schon irgend etwas von Diamanten gefaselt«, murmelte
sie, mehr zu sich selbst. »In den Medien wurde immer nur das Geld erwähnt.«
»Dieser
stinkreiche Araber wollte wohl nicht, dass der Diebstahl publik wird«, mutmaßte
Michael. »Es war eine geheime Geschichte. Von Anfang an. Es sollte gar nicht
erst nach außen dringen, dass die Klunker in der Bank gelagert wurden. Ein Typ
aus Polizeikreisen hatte Stefan über die Diamanten in der Sparkassenfiliale
informiert. Deshalb war der so
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