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Bleischwer

Bleischwer

Titel: Bleischwer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Wünsche
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Uniklinik aufsuchte,
schämte sie sich unsäglich. Nie würde sie seinen verständnislosen und zugleich
angewiderten Blick vergessen, als sie ihm kleinlaut von dem Seitensprung und
der Schwangerschaft erzählte. In all diesem Tohuwabohu reiste Tobi nach
Pennsylvania ab. Gottlob! Und Jule flüchtete in den ›Eifelwind‹.
     
    So wie sie jetzt wieder auf dem
Weg dorthin war. Nicht in ihrem blauen Twingo diesmal, der randvoll beladen mit
ihren Schuldgefühlen und Zukunftsängsten gewesen war, sondern in einem gelben
Smart, zusammen mit zwei fast Fremden und Racheplänen und Schusswaffen im
Gepäck. Unruhig rutschte Jule auf dem Beifahrersitz hin und her. Würde sie es
jemals schaffen, ihr Leben in den Griff zu bekommen? Langsam zweifelte sie
daran.
    Nun
fuhr Melanie von der Autobahn ab. Es war stockdunkel. Die Straße nach Bad
Münstereifel wand sich lang und kurvenreich zwischen schwarzen Wäldern dahin.
Am liebsten wäre Jule immer so weiter gefahren, ohne jemals anzuhalten. Mit
wohligem Gefühl im Bauch dachte sie an den Mann hinter sich. In dem Moment
begriff sie, dass es kein Zurück gab. Es fühlte sich richtig an, dass er bei
ihr war. Auf einfache, selbstverständliche Art richtig. Egal, wie sehr sie sich
den Kopf zerbrach. Liebe, dachte sie. Das muss Liebe sein. Da tauchte auch
schon die Kirche von Steinbach vor ihnen auf.
    »Mel,
lässt du mich bitte bei Becker raus? Sein Haus ist dahinten am Ende der
Sackgasse«, bat Micha.
    »Klar,
kenn ich. Ist ja nicht weit vom Häuschen meiner Großeltern.«
    »Ich
geh mit ihm«, erklärte Jule zu ihrem eigenen Erstaunen.
    »Ich
dachte, du hilfst mir beim Entrümpeln«, wunderte sich Melanie, und Jule sah im
Lichte einer Straßenlaterne die steile Falte über ihrer Nasenwurzel.
    »Mach
ich auch. Später«, versprach sie eilig. »Trotzdem will ich Micha nicht mit dem
Dorfsheriff allein lassen. Versteh das bitte.«
    Ein
unwilliges Knurren war die Antwort. Oh je, jetzt hatte sie die neue Freundin
verärgert. Das musste sie nachher unbedingt wieder gutmachen.
    Das
Haus von Frank und Beate Becker war ein rot verklinkertes, freistehendes
Einfamilienhaus. Es verschmolz mit der Anhöhe im Hintergrund. Um zur Haustür zu
gelangen, musste man einen gepflasterten, stufigen Fußweg nehmen. Michael sah
in den viel zu weiten Klamotten von Melanies Mann Bernd etwas verloren, wenn
auch weit seriöser als sonst aus, während er jetzt vor Jule herging. Er trug
eine graue Stoffhose, ein hellblaues Hemd und darüber eine elegante, gerade
geschnittene Lederjacke in Braun. Die Waffe, für die er sich aus dem
Sammelsurium in der ALDI-Tüte entschieden hatte, war eine schwere Pistole, die
er lässig unter den Gürtel gestopft hatte.
    Plötzlich
wurde Jule von bodenloser Panik gepackt. Was, wenn man ihn töten würde?
    »Warte
auf mich«, rief sie leise.
    Er
drehte sich zu ihr um, und trotz der Anspannung begannen seine Augen zu
strahlen. Resolut ergriff er ihre Hand. Händchen haltend erreichten sie die
weiß lackierte Haustür und klingelten. Eine rundliche Frau mit graubraunem Haar
und gutmütigen, weichen Zügen öffnete. Im Hintergrund hörte man Kindergeschrei.
    »Micha!«,
rief sie entgeistert aus. Ihr Blick huschte nervös zwischen ihrem Cousin und
Jule hin und her. »Was machst du denn hier? Die Kripo sucht dich! Und was hast
du mit deinen Haaren angestellt? Und mit deinem Gesicht?«
    »Hi,
Beate.« Seine Stimme war warm. »Schön, dich zu sehen. Aber ich müsste dringend
zu Frank. Ist er da?«
    Beate
konnte nur nicken. Gleichzeitig bebten ihre Lippen. Jule sah ihr an, dass etwas
ganz und gar nicht in Ordnung sein musste, wenn ihr zur Fahndung
ausgeschriebener, vorbestrafter Cousin ihren Polizistenehemann freiwillig
sprechen wollte. Mit kleinen Trippelschritten wich sie zurück und zog dabei die
Haustür weit auf. Micha schlüpfte hinein, Jule hinter sich herziehend.
    »Er ist
oben im Arbeitszimmer«, flüsterte Beate.
    »Danke.«
Michael stoppte kurz und fixierte sie beschwörend. »Geh auf keinen Fall mit den
Kindern in den ersten Stock, egal was du hörst«, warnte er, bevor Jule und er
zur Treppe gingen.
    Oben
angekommen peilte Micha zielstrebig das erste Zimmer auf der rechten Seite an.
Durch die geschlossene Tür drangen Musik und eindeutige Geräusche in den Flur.
Er hielt sich den Zeigefinger an die Lippen, blickte Jule ernst an und griff
mit der rechten Hand unter die Jacke. Dann drückte er mit der Linken vorsichtig
die Türklinke herunter. Lautlos schwang das Türblatt auf.

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