Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
auf dem Pausenhof, wurde er oft gehänselt. Es gab einen Jungen, Sam, der ihm das Leben regelrecht zur Hölle machte und gar nicht genug davon kriegte, Noah zu schikanieren. Ständig beschimpfte er ihn als Freak und versuchte alles, um ihn mit seinen Sticheleien, den heimlichen Remplern oder Tritten aus der Reserve zu locken. Doch an Noah schienen all seine Versuche einfach abzuprallen. Er äußerte sich ja nicht einmal, wenn Adrian und ich Zeugen von Sams Attacken wurden und die Lehrer zum Schlichten herbeiholten. Besonders Adrian fühlte sich damals schrecklich, weil er nicht mehr so unmittelbar eingreifen konnte, wie er es am liebsten getan hätte. Noah steckte immer weiter ein, Tag für Tag. Vermutlich hatte es Sam nie mit einem dickhäutigeren Opfer zu tun gehabt, aber irgendwann platzte Noah dann doch der Kragen. Plötzlich wehrte er sich, als Sam zum ersten Mal ernsthaft damit drohte, ihn zu schlagen.“
Lucy schluckte schwer. „Nun, ehe er auch nur seine Faust gegen Noah heben konnte, hatte der ihn bereits krankenhausreif geprügelt. Das kam so ... plötzlich , als hätte Sam einen Schalter bei Noah umgelegt, oder so.“ Sie legte den Kopf schief, ließ ihre Worte einen Moment nachwirken. „Ich will ehrlich sein“, sagte sie dann. „Am Anfang habe ich innerlich aufgejubelt, als Noah aus seiner Lethargie schnappte und sich endlich zur Wehr setzte. Sam hatte es so sehr verdient. Aber dann ... Noah kam in eine Art Rausch oder so. Er schlug immer weiter auf ihn ein. Selbst als Sam schon am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte, ließ er nicht von ihm ab. Er hat uns allen eine Höllenangst eingejagt.“
Gebannt sah ich sie an. Lucy hatte das geheime Buch von Noahs Leben aufgeschlagen und mich einen Blick auf seine Geschichte werfen lassen. Und bereits nach diesen wenigen Sätzen war ich gefesselt. Ich wollte mehr über ihn erfahren, ihn verstehen lernen ... und ihm helfen. Dieses Bedürfnis verstärkte sich mit jedem von Lucys Worten.
„Und dann?“, fragte ich tonlos.
„Irgendwann kam er wieder zu sich. Er hielt ganz abrupt in seinen Schlägen inne, richtete sich auf, starrte auf Sam, betrachtete seine Hände, als könnte er sich nicht erklären, warum die so blutverschmiert waren ... und dann sah er Adrian und mich an.“ Lucy rieb sich die Unterarme. „Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich an diesen Blick denke. Ich erkannte die Scham in seinen Augen – vermutlich im selben Moment, als er den Schock in unseren las. Nur ein einziges Mal sah uns Noah wirklich hilfesuchend an, und das war ausgerechnet in dieser Situation, als Adrian und ich wie festgefroren dastanden und vermutlich zurückgewichen wären, hätte er einen Schritt in unsere Richtung gewagt.“ Lucy neigte den Kopf und blickte auf ihre Hände herab. „Natürlich legte sich unser Schreck schnell. Mom und Dad redeten mit uns und machten uns klar, dass wir alle Geduld haben mussten. Sie brachten auch Noah, der sich bei seinem Ausraster selbst zwei Finger gebrochen hatte, nichts als Verständnis entgegen. Niemand machte ihm einen Vorwurf. ... Aber es war zu spät, Noah schämte sich zu sehr.“
Lucys letzte Worte waren kaum mehr als ein Flüstern; betrübt schüttelte sie den Kopf, als wollte sie ihn von den schrecklichen Erinnerungen befreien. Stumme Sekunden verstrichen. Als sie endlich, unter flatternden Augenlidern, fortfuhr, wurde ich das Gefühl nicht los, sie habe etwas Entscheidendes übersprungen.
„Von diesem Tag an war er wie ausgetauscht“, seufzte sie. „Er verhielt sich extrem aggressiv, bis sich niemand mehr in seine Nähe traute. Ich verstehe, dass die Mauern, die er um sich herum errichtet hat, seinem eigenen Schutz dienen sollen, aber ... er verliert sich immer mehr in diesem selbstgezimmerten Gefängnis, Emily.“ In offener Verzweiflung sah sie mich an.
„Ich bin nicht voreingenommen”, versicherte ich ihr.
„Gut. Aber ... geh es langsam an! Vorsichtig.” Ein mildes Lächeln umspielte ihre schönen Lippen und das Hoffnungsflämmchen in den dunkelbraunen Augen.
Der Moment fühlte sich bedeutungsvoll an und mein Nicken wie die Besiegelung eines Paktes.
Lucy erhob sich; im selben Moment klopfte es an ihrer Zimmertür. Schnell schlug ich das große Handtuch enger um meinen nackten Körper.
Kathy erschien im Türrahmen und erkundigte sich , ob es mir besser ginge. Ich bejahte und legte mein überzeugendstes Lächeln auf. „Ich bin hochgekommen, weil dein Dad dich braucht“, sagte Kathy an Lucy
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