Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
gewandt. Die sah mich noch einmal tief an, nickte mir fast unmerklich zu und folgte Kathy dann nach unten.
Allein in ihrem Zimmer, föhnte ich meine langen Haare und streifte mir Lucys Sachen über. Ihr Rock war zwar ein wenig kürzer als mein eigener, denn ich war bestimmt einen halben Kopf größer als Lucy, dafür passte mir ihre Bluse wie angegossen. Knappe dreißig Minuten , nachdem sich der mit Sicherheit peinlichste Vorfall dieses Abends ereignet hatte, sah ich so aus, als hätte ich rein gar nichts damit zu tun gehabt.
Innerlich jedoch fühlte ich mich müde und erschöpft. Mein Knöchel schmerzte und ich verspürte nicht die leiseste Lust wieder rauszugehen, um mich den hämischen Kommentaren meiner Mitschüler auszuliefern. Oder mich – was noch schlimmer wäre – heimlich belästern zu lassen.
Viel lieber hätte ich meinen Gedanken um Noah weiter nachgehangen, dessen Verhalten mir durch das Gespräch mit seiner Schwester nun schon wesentlich einleuchtender erschien. Zugleich warfen die neuen Erkenntnisse jedoch auch weitere Fragen auf. Allen voran: Wie konnte man ein Kind von nicht einmal zwölf Jahren krankenhausreif schlagen? Was waren das für Monster, bei denen Noah seine Kindheit verbracht hatte?
Und mit diesen Überlegungen stand mein Entschluss fest: Ich wollte hier übernachten, denn ich wollte mehr Zeit mit ihm verbringen. Allein der Gedanke, dass er sich genau in diesem Moment in derselben Etage – nur wenige Meter von mir entfernt – aufhielt, brachte mein Herz schon zum Rasen.
Also griff ich zu dem Telefon auf Lucys Nachttisch und wählte die Mobilfunknummer meines Vaters. Erwartungsgemäß freute der sich wie ein Schneekönig und willigte sofort ein. Überhaupt dauerte unser Gespräch kaum länger als eine Minute, zumal ich ihn in einer Drehpause am Set er wischte.
Eine Weile drückte ich mich noch davor , Lucys Zimmer zu verlassen. Als ich jedoch keine Möglichkeit sah, meinem Schicksal länger zu entgehen, packte ich meine nasse Kleidung in die Tüte, die mir Lucy rausgelegt hatte, verließ auf nackten Füßen ihr Zimmer und humpelte in Richtung Treppe.
„Nimm Adrians Lift!“ , hatte Lucy im Rausgehen gesagt. Sie wollte mich dann unten von Tom abholen lassen. Von wegen!
Nur über meine Leiche trug der mich noch mal.
Die Treppe wollte ich meinem schmerzenden Fuß allerdings wirklich gerne ersparen. Also atmete ich tief durch und unternahm gerade die ersten Anstalten, mich in den Sitz zu manövrieren, als mir das Flackern am gegenüberliegenden Ende des Korridors auffiel.
Ein Fernseher?
So leise wie möglich humpelte ich über den Gang. Die letzte der vielen Türen stand offen; hier fand das Flackern seinen Ursprung. Nun hörte ich auch Stimmen und leise Hintergrundmusik.
Ja, definitiv ein Fernseher.
Vorsichtig lugte ich um die Ecke und blickte in einen Raum, der wie ein weiteres Wohnzimmer eingerichtet war.
Ein Gemälde des Eiffelturms zierte die cremefarbene Wand, es gab eine große beige Sitzgarnitur, die wesentlich moderner wirkte als die im Erdgeschoss und zu einer braungestrichenen Wand ausgerichtet war. Dort hing die Quelle des flackernden Lichts, ein riesiger Flachbild –Fernseher, auf dem irgendein Horrorfilm zu laufen schien. Des Weiteren entdeckte ich ein Klavier, eine große Stereoanlage und eine Computer-Konsole. Offenbar stellte dieser Raum eine Art Rückzugsort für die drei Geschwister dar, den sie gemeinsam nutzen konnten. Und momentan genoss es Noah, ungestört von diesem Bereich Gebrauch machen zu können. Nun ja, ungestört ...
Zumindest konnte er mich von seinem Platz aus nicht sehen, und so blieben mir einige Sekunden, ihn in Ruhe zu betrachten.
Er lag auf der Couch, die Beine lang ausgestreckt und die Füße auf dem kleinen Tisch vor ihm abgelegt. So entspannt hatte ich ihn zuvor noch nicht gesehen. Reglos starrte er auf den Bildschirm, in der einen Hand eine Cola-Dose, in der anderen die Fernbedienung.
Sein Haar war noch feucht und stand selbst in diesem Zustand in alle Richtungen ab. Natürlich hatte auch Noah sich nach unserem unfreiwilligen Badeexkurs umgezogen, doch er schien nicht die Absicht zu hegen, sich noch einmal unter das feiernde Volk zu mischen. Sein Hemd hatte er gegen ein schlichtes, weißes T-Shirt eingetauscht. Von seinen Beinen sah ich lediglich die nackten Unterschenkel und Füße, also mutmaßte ich, dass er Shorts trug ... und beneidete ihn im selben Moment um sein lässiges Outfit.
So groß die Versuchung auch war , mich
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