Blick in Die Angst
Augenblick.
Als wir an der Kiste für die streunende Katze vorbeikamen, fragte Lisa: »Ist die für Silky?«
»Nein, sie ist im Sommer gestorben – ein paar Wochen nachdem ich überfallen wurde.«
Sie presste die Lippen zusammen, und ich überlegte, ob sie sauer war, weil ich ihr nichts davon erzählt hatte – früher, als sie noch zu Hause gewohnt hatte, hatte die Katze immer bei ihr geschlafen.
Ich sagte: »Ich wollte es dir erzählen, aber …«
»Schon in Ordnung.« Aber ich hatte das Gefühl, es sei ganz und gar nicht in Ordnung.
Im Haus zeigte ich ihr das Gästezimmer. Sie blieb in der Mitte stehen und inspizierte den Raum, das Bambusbett mit dem weißen Federbett und den Kissen, ließ ihren Rucksack auf den Boden fallen, schleuderte die Jacke auf den Sessel. »Hübsch.«
Wieder freute ich mich übertrieben. »Ich bin so froh, dass es dir gefällt.«
Sie ging hinüber zum Bett und entdeckte den weißen Stoffhund, den ich für sie gekauft hatte. Sie stand mit dem Rücken zu mir, als sie ihn hochnahm.
Ich sagte: »Ich sah ihn und dachte an dich … es sollte ein Geburtstagsgeschenk für dich sein.« An jenem Wochenende hatte ich eine Kerze angezündet, sie ausgeblasen und mir etwas für meine Tochter gewünscht.
»Ich hau mich ein bisschen aufs Ohr, okay, Mom?«
Ihre Stimme klang belegt, als würde sie gleich weinen.
»Ist alles in Ordnung? Möchtest du etwas …«
»Mir geht’s gut.«
Es war eine eindeutige Zurückweisung. Langsam schloss ich die Tür hinter mir. Als ich später ins Zimmer spähte, schlief sie tief und fest, doch die Augen unter den Lidern bewegten sich hektisch, und ich fragte mich, welche Dämonen sie in ihren Träumen verfolgen mochten. Ich wollte auf dem Sofa lesen, bis sie wieder aufwachte, doch dann schlief ich ebenfalls ein. Stunden später wachte ich auf, als sie vor dem Sofa stand und auf mich hinunterblickte. Ich schreckte hoch. »Alles in Ordnung mit dir?«
Im Haus war es schummrig, aber sie hatte ein paar Lampen eingeschaltet. Draußen war es fast dunkel, so dass es vermutlich früher Abend war. Der Wind vom Ozean drückte den Bambus gegen meine Fenster, während der Regen gegen die Scheiben prasselte.
Lisa sagte: »Du kannst aufhören, mich das zu fragen.« Sie setzte sich in den Sessel mir gegenüber, zog das Wollplaid hinter sich hervor und wickelte sich darin ein. Ich stellte fest, dass sie sich etwas Toast gemacht hatte. Auf dem Couchtisch vor mir stand auch ein Teller für mich, dazu eine Tasse mit dampfendem Tee, und sie hatte den Kamin angemacht. Ich freute mich über die gemütliche, häusliche Szene, über den Duft des gerösteten Brots und dass sie daran gedacht hatte, dass ich meinen Toast gerne mit Honig aß. Ich nahm einen Schluck Tee und betrachtete sie über den Rand meiner Tasse hinweg. Ihr Haar war zerzaust und ungekämmt, die Falten des Kissens hatten einen Abdruck in ihrem Gesicht hinterlassen. Ich lächelte, als mir einfiel, dass sie als Kind immer Angst gehabt hatte, Falten zu bekommen. Dabei hatte sie sich nie groß um ihr Aussehen oder Mode gekümmert. Manchmal hatte sie meine Sachen anprobiert, aber sie zog es vor, mich anzuziehen. Sie schminkte mich sorgfältig und bürstete mir behutsam und liebevoll die Haare. »Lass mich das machen, Mommy«, sagte sie, als sei sie die Erwachsene und ich das Kind. Manchmal fragte ich mich, ob das das Problem war. Hatte ich sie zu sehr wie eine Erwachsene behandelt?
Sie spürte, dass ich sie ansah, wandte den Blick vom Feuer ab, schaute mich an und sagte: »Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«
Die Frage erschreckte mich, doch ich versuchte, es nicht zu zeigen, als ich langsam meine Tasse abstellte und im Geiste meine Antwort vorbereitete. Es war eine Frage, die ich nicht so einfach beantworten konnte, und eine Frage, die ich mir in den Tagen nach Pauls Tod selbst gestellt hatte. Aber ich glaubte nicht, dass Lisa das im Moment hören wollte. Sie sah mich wachsam an, der ganze Körper schien bereit zum Kampf. Ich wählte meine Worte sorgfältig.
»Ich hoffe, dass nach diesem Leben noch etwas kommt, ja.«
»Du hoffst , aber du glaubst es nicht.«
Noch eine Kampfansage. Eine, die ich zu ignorieren beschloss. Mit neutraler Stimme sagte ich: »Und was denkst du? Glaubst du an ein Leben nach dem Tod?«
Nachdenklich schaute sie wieder ins Feuer, dann hob sie den Blick zu dem Foto von Paul auf dem Kaminsims, den Bildern von uns als Familie. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Als ich im
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