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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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sich regte. Während sie duschte, ging ich hoch auf meine Station, um mich zu vergewissern, dass sie eine Vertretung für mich gefunden hatten. Michelle saß am Tresen und sah mich mitfühlend an, als ich mich näherte. Wie viel mochte sie wissen?
    »Alles in Ordnung?«, fragte sie. »Ich habe gehört, Ihre Tochter ist krank?«
    Ich mochte Michelle, aber ich wollte nicht, dass sie etwas von Lisas Problemen erfuhr, also sagte ich: »Es geht ihr schon wieder besser – ich fahre jetzt mit ihr nach Hause.« Dann griff ich nach einer Krankenakte und begann, mir die Notizen zu dem Patienten durchzulesen – ein klares Signal, dass ich zu dem Thema nichts weiter sagen würde. Michelle blieb freundlich, aber ich spürte ihre Neugier sowie die leise Kränkung, weil ich ihr nicht stärker vertraute. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, aber ich würde nicht bei der Arbeit über meine persönlichen Probleme reden. Ich wollte gerade gehen und kam an Kevins Büro vorbei, als er den Kopf herausstreckte.
    »Ich meinte, deine Stimme gehört zu haben.«
    »Hallo, ja, aber ich muss schon wieder weg.«
    Er legte den Kopf schräg und musterte mich. »Alles in Ordnung?« Er sah mich so besorgt an, dass plötzlich Tränen in meinen Augen brannten. Ich blinzelte heftig.
    »Es war eine harte Nacht. Meine Tochter ist eingeliefert worden.« Aus irgendeinem Grund sprudelte die Geschichte, die ich Michelle nicht hatte erzählen können, nur so aus mir heraus. »Sie hatte eine Überdosis, vermutlich GHB. Sie wird wieder gesund, aber ich weiß nicht, für wie lange …«
    »O nein.« Er öffnete die Tür. »Komm rein.«
    »Danke, aber ich muss sie nach Hause bringen.« Es würde noch bis zum späten Vormittag dauern, bis sie endlich entlassen wurde, und nach einer Nacht auf dem Stuhl war ich erschöpft.
    Kevin stand da, die Tür immer noch geöffnet, und sah mich freundlich an. »Bist du sicher?«
    »Vielleicht können wir morgen reden.«
    »Auf jeden Fall. Hier, meine Handynummer.« Er zog rasch eine Visitenkarte aus seiner Geldbörse und reichte sie mir. »Du kannst mich jederzeit anrufen.«
    »Danke.«
    Er schenkte mir ein ermutigendes Lächeln. Ich versuchte, zurückzulächeln, aber vor lauter Müdigkeit war mir nur noch zum Weinen zumute, und ich wandte mich hastig ab.

    In ihrem Zimmer zog Lisa gerade die Stiefel an, ihr Gesicht war ganz bleich von der Anstrengung. Sie hielt inne, um wieder zu Atem zu kommen.
    »Brauchst du Hilfe?«, fragte ich und bückte mich zur gleichen Zeit, als sie sich vorbeugte, um es erneut zu versuchen. Ihre Hand streifte meine. Wir erstarrten beide. Sie hielt meine Hand für den Bruchteil einer Sekunde fest, ehe sie sie wieder losließ. Zum zweiten Mal an diesem Morgen musste ich die Tränen mühsam unterdrücken. Ich setzte mich auf den Stuhl neben das Bett, während sie ihre Stiefel fertig anzog und zuschnürte.
    Sie schaute kurz zu mir, und ich sah in ihrem Blick etwas aufflackern, als wollte sie etwas sagen. Doch dann sah sie weg, und der Moment war vorüber.
    Nachdem alle Entlassungsformalitäten geklärt waren, schob ich sie vorschriftsmäßig im Rollstuhl zu meinem Wagen. Ich hielt ihr den Arm hin, damit sie sich daran festhalten konnte, als sie auf den Beifahrersitz kletterte, aber sie ignorierte ihn. Auf der Heimfahrt schwiegen wir beide vor Erschöpfung, obwohl mir der Kopf schwirrte vor lauter Fragen. Ich wollte wissen, wo sie momentan lebte, wie sie lebte, was am Abend zuvor geschehen war, ob sie wieder Drogen nahm, ob sie immer noch aufhören wollte. Keine dieser Frage durfte ich stellen, doch ich konnte mich auch nicht überwinden, irgendeinen Unsinn daherzureden. Die Stille dehnte sich aus, bis ich das Radio einschaltete.
    Als wir auf der Auffahrt anhielten und aus dem Wagen stiegen, blieb Lisa einen Moment stehen, um das Haus zu bewundern.
    »Wow, Mom. Das ist ja genial.«
    Meine Stimmung hob sich, weil sie mich so unbekümmert »Mom« genannt hatte und ihr mein Haus gefiel. Es war unrealistisch zu erwarten, dass sie deshalb vielleicht länger bleiben würde, aber ich hoffte es trotzdem. Ich hob ihren Rucksack aus dem Kofferraum. Wer immer den Notarzt gerufen hatte, hatte ihn bei Lisa gelassen. Ob es wohl dieselbe Person gewesen war, die ihr die Drogen gegeben hatte? Hatte der- oder diejenige auch nur in Erwägung gezogen, bei Lisa zu bleiben, ehe sie wie ein Stück Müll in der Gasse zurückgelassen wurde? Ich schüttelte meine Wut ab. Ich hatte nur die Kontrolle über den jetzigen

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