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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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der Zuneigung verweigern würde, sobald sie erwachte. Ich betrachtete die zierliche, sichelförmige Narbe an ihrem kleinen Finger, die sie sich als Kind zugezogen hatte, als sie sich den Finger in der Tür unseres Wohnmobils eingeklemmt hatte. Sie hatte geschrien und geweint und danach nie wieder eine Tür zugeknallt. Vielleicht war sie dieses Mal am absoluten Tiefpunkt angekommen, vielleicht war dieses knappe Davonkommen der notwendige Anstoß für sie, sich endlich einen ordentlichen Therapieplatz zu suchen. Ich wollte, dass sie mit mir nach Hause kam und sich darauf konzentrierte, wieder gesund zu werden, aber ich konnte ihr diese Entscheidung nicht aufzwingen. Ich strich ihr Haar zurück, das immer noch weich und seidig war. Sie hatte also auch ihre Haare gepflegt. Ich blickte hinunter zu ihr, meine Augen füllten sich mit Tränen.
    Was ist dir zugestoßen?
    Ich blieb eine Weile neben ihr sitzen, dann bat ich eine der Schwestern, die Abteilung für Psychiatrie zu informieren, dass ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit kommen könnte. Die Oberschwester brachte mir eine Decke, und ich nickte auf dem Stuhl ein. Stunden später hörte ich eine Bewegung im Bett und schreckte aus dem Schlaf auf. Lisa beobachtete mich.
    »Hallo, Liebes«, sagte ich. »Wie fühlst du dich?«
    Immer noch heiser, sagte sie: »Mein Hals ist ganz wund.«
    »Ich hole dir etwas Wasser und Eiswürfel.«
    Als ich ihr den Becher reichte, fragte sie: »Wann kann ich hier raus?«
    Ich wartete, während sie einen Schluck Wasser nahm und dann den Kopf wieder auf das Kissen sinken ließ. »Wahrscheinlich wirst du morgen entlassen.« Ich schaute auf die Uhr. Es war bereits drei Uhr morgens. »In ein paar Stunden.«
    Den nächsten Punkt ging ich vorsichtig an. Ich wollte sie nicht fragen, was geschehen war – sie würde sofort in Abwehrstellung gehen. Ich konnte ihr auch nicht vorschreiben, mit zu mir nach Hause zu kommen. Ich sehnte mich zurück nach den Zeiten, als ich sie einfach hochheben und auf dem Arm tragen konnte, doch jetzt musste ich zulassen, dass sie ihre Entscheidungen selbst traf. Ich sagte: »Würdest du gerne eine Weile bei mir wohnen?«
    Sie sah aus, als würde sie es in Erwägung ziehen. Ihr Blick war nachdenklich, doch es lag auch noch etwas anderes darin. Angst? Ich widerstand dem Verlangen, wechselweise zu befehlen, zu schmeicheln, zu zwingen, zu streiten und zu betteln.
    Sie flüsterte: »In Ordnung.«
    Erleichterung durchströmte mich. Doch bevor ich allzu euphorisch über diesen Fortschritt wurde, sagte sie: »Aber du darfst mich nicht ständig mit Fragen löchern.«
    Ich nickte, akzeptierte ihre Bedingung und fragte sie, ob sie irgendetwas bräuchte. Sie wollte auf die Toilette, und ich half ihr aus dem Bett. Anschließend sahen wir fern, bis sie wieder einschlief. Obwohl es eine furchtbare Situation war, war ich glücklich, mit meiner Tochter zusammen zu sein. Diese wenigen Stunden mit ihr waren mehr, als ich seit Jahren gehabt hatte. Im Geiste bereitete ich mich auf die nächsten paar Tage vor. Es würde nicht leicht werden. Wenn sie wieder angefangen hatte, Drogen zu nehmen, war ihre Stimmung unberechenbar. Sie schlug dann leicht mal zu, und wenn die Vergangenheit irgendetwas gezeigt hatte, dann, dass ich ihr bevorzugtes Ziel wäre.
    Als sie klein war, war sie so süß gewesen. Obwohl sie als Kind nie besonders mitteilsam gewesen war, war sie sehr anhänglich gewesen. Sie hatte immer nach meiner Hand gegriffen, war unaufgefordert auf meinen Schoß gekrochen oder hatte sich im Bett zwischen Paul und mich gekuschelt. Und wie liebevoll sie war! Sie kümmerte sich um unsere Tiere, aber auch um ihre Freunde und lud oft jemanden zum Abendessen ein, wenn sie glaubte, der oder diejenige sei unglücklich. Eine Zeitlang verbummelte sie andauernd ihre Kleider. Als ich sie schließlich deswegen befragte, erklärte sie, sie habe sie einer Freundin in der Schule geschenkt, deren Eltern gerade eine schwere Zeit durchmachten. Ich war stolz auf ihre fürsorgliche, loyale Art, aber ich machte mir auch Sorgen, jemand könnte ihre freigiebige Art ausnutzen. Eines Tages sagte ich zu Paul: »Ich habe Angst, dass sie versuchen wird, die Welt zu retten.« Er hielt inne bei dem, was er gerade tat, und antwortete: »An wen erinnert mich das bloß?« Ich hatte gelacht, war aber auch ganz angetan gewesen, etwas von mir in ihr wiederzufinden.
    Das alles war lange her.
    Ich schlief selbst noch ein paar Stunden und erwachte, als ich spürte, wie Lisa

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