Blick in Die Angst
Krankenhaus war, direkt bevor ich aufwachte, konnte ich Dad spüren, als stünde er bei mir im Zimmer. Und dann hörte ich dieses Lied, das er immer gesungen hat.«
Sie musste nicht mehr sagen, ich wusste, welches Lied sie meinte. Als es mit Chinnoks Gesundheit immer mehr bergab ging, hatte Paul immer wieder »Fields of Gold« aufgelegt und es den ganzen Tag vor sich hin gesungen. Manchmal sahen wir uns abends zusammen Bilder von Chinnok als Welpen an, von all unseren Jahren mit ihm. Wir weinten alle, weil wir wussten, dass wir unseren geliebten Hund bald verlieren würden. Keiner von uns ahnte, dass der Krebs auch Pauls Leben kein Jahr später beenden würde.
Jetzt sang ich leise: »You’ll remember me …«
Lisa setzte ein: »When the west wind moves …«
Wir summten weiter, ergänzten in Gedanken die restlichen Worte in einem stummen Refrain.
Nach einer Weile sagte Lisa: »Als ich die Augen aufmachte, sah ich ihn. Seine Hand lag auf der Rückenlehne deines Stuhls, und er lächelte mich an. Dann verschwand er.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie ungehalten fortwischte. Ich dachte an das Aufblitzen der Angst in ihren Augen, als sie das erste Mal aufgewacht war, und dass sie auf etwas hinter mir geblickt hatte. Wahrscheinlich hatte sie vom GHB hervorgerufene Halluzinationen gehabt, oder es gab irgendeine andere physiologische Erklärung, aber ich glaubte keinen Moment lang, dass Pauls Geist tatsächlich dort gewesen war. Lisa hingegen war überzeugt, er wäre dort gewesen, für sie war die Vision sehr real. Ich wollte ihr das nicht nehmen. Sie wartete darauf, dass ich etwas sagte.
Ich lächelte. »Das ist eine wunderschöne Vorstellung. Ich würde gerne glauben, dass dein Vater uns immer noch besucht.«
»Du glaubst mir nicht.« Sie klang matt und resigniert, als hätte sie erwartet, dass ich sie im Stich lasse. Der Gedanke machte mich traurig.
»Lisa, das ist es nicht, was ich …«
»Ich habe keine Überdosis genommen.«
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich argwöhnte, dass sie sehr wohl Drogen geschluckt hatte, es aber in der nachfolgenden, von dem Gift herrührenden Amnesie vergessen hatte. Also sagte ich nur: »Okay.«
»Ich habe nichts genommen – jemand hat mir etwas gegeben.«
»Wer? Einer deiner Freunde?« Ich versuchte, nicht anklagend zu klingen, aber der Unterton war da, und meine Tochter, die schon immer eine gute Intuition hatte, vor allem wenn es um Kritik von mir ging, sprang sofort darauf an.
»Du glaubst immer noch, ich würde Drogen nehmen. Ich habe dir gesagt, dass ich aufgehört habe.«
Ich holte tief Luft und fing noch einmal an. »Du bist meine Tochter – ich liebe dich, und ich möchte, dass es dir gutgeht. Ich habe Angst, dass du, wenn du weiter auf der Straße lebst und mit Leuten rumhängst, die tatsächlich Drogen nehmen, auch wieder damit anfangen könntest. Als ich dich gestern Nacht gesehen habe, wie du …« Ich räusperte mich. »Ich habe Angst, dich zu verlieren.«
Ich versuchte, sie durch reine Willenskraft dazu zu bringen, mich anzusehen, aber sie sammelte mit dem Daumen die Krümel auf ihrem Teller auf und leckte ihn ab. Schnelle, zornige Bewegungen.
Sie sagte: »Es geht mir gut, bis auf gestern Abend. Ich habe es unter Kontrolle.«
Ich wartete auf genauere Erklärungen, aber sie starrte wieder ins Feuer. Ich beschloss, es dabei bewenden lassen, in der Hoffnung, dass sich im Laufe der nächsten Tage noch einmal die Gelegenheit ergeben würde, darauf zurückzukommen. Ich wechselte das Thema. »Ich habe Garret neulich gesehen.«
Sie biss von ihrem Toast ab und kaute energisch, ohne den Blick vom Feuer abzuwenden. Mit undurchdringlicher Miene sagte sie: »Ach ja.«
Es hatte nicht wie eine Frage geklungen oder als ob sie mehr darüber erfahren wollte, trotzdem fügte ich hinzu: »Ich habe ihm das Werkzeug deines Vaters gegeben – ich dachte, dass du es wohl nicht haben willst.«
Keine Antwort.
»Er hat jetzt ein Fotostudio.«
Immer noch keine Antwort.
»Und er hat nach dir gefragt – er sagte, wir könnten ja mal bei ihm vorbeikommen.«
Jetzt drehte sie sich um. »Hast du ihm erzählt, wo ich bin?«
Erschüttert von der Heftigkeit ihrer Reaktion und verwirrt über den Grund dafür, sagte ich: »Ich wusste nicht, wo du warst – aber ich habe ihm erzählt, dass ich dich zufällig am Fischerkai getroffen hatte. Er hat sich Sorgen um dich gemacht.«
Dieses Mal stellte sie ihren Becher mit einem dumpfen Knall auf dem Beistelltisch
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