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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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und meine Gedanken überschlugen sich. Schließlich gelang es mir, einen festzuhalten, und ich fragte keuchend: »Wann? Wann ist es passiert?«
    »Etwas spät, um so zu tun, als würde es dir etwas ausmachen, meinst du nicht? Ich bin ziemlich hinüber, für den Fall, dass es dir entgangen sein sollte.« Sie warf den Kopf zurück, ihr Lachen klang fast hysterisch.
    Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Wer hat meinem Kind weh getan? Ich brach beinahe in Tränen aus, geriet fast in Panik, aber ich schaffte es, mich etwas zu beherrschen. »Wie … War es einer deiner Lehrer?« Ihre Miene wurde leer und resigniert. Sie hatte bereits entschieden, dass ich sie im Stich lassen würde. Ich dachte an all die Male, bei denen sie länger in der Schule geblieben war, an die Wochenendausflüge mit Freundinnen und deren Vätern. Dann begriff ich.
    »Hat einer der Betreuer in der Entzugsklinik dir etwas getan?«
    Sie schüttelte den Kopf, doch sie starrte hinunter auf ihren Rucksack, zog den Reißverschluss an einer der Taschen auf und wieder zu. Wenn sie als Kind irgendetwas zu verbergen hatte, hatte sie immer mit ihren Reißverschlüssen herumgespielt. Ich hatte recht. Es passte alles.
    Sie sagte: »Das ist doch jetzt egal.«
    »Es ist nicht egal – natürlich ist es wichtig.«
    Sie sah mich an. »Geh weg, Mom. Geh einfach nach Hause.«
    »Ich werde dich jetzt nicht alleinlassen.«
    »Alles in Ordnung, Lisa?« Ein hochgewachsener Mann, die Arme von oben bis unten tätowiert, das lange, dunkle Haar in ungezähmten Locken, stand in der Tür. Seine Augen hatten diesen wilden Blick, der verriet, dass er ebenfalls high war.
    »Meine Mom wollte gerade gehen.«
    Ich drehte mich um, um Lisa anzusehen, und fragte mich, wer meine Tochter ausgetauscht hatte, denn diese zornige Frau, die mich voller Hass anstarrte, kannte ich nicht.
    »Ich will dich nie wiedersehen. Verpiss dich, los, hau ab.«
    Ich hörte den Schmerz in meiner Stimme, als ich sagte: »Lisa …«
    Der Mann machte einen Schritt auf mich zu. »Sie will dich hier nicht haben, Alte. Du bewegst besser deinen Arsch hier raus, ehe ich dir Beine mache.«
    Ich stand auf. »Drohen Sie mir nicht. Ich rede mit meiner Tochter.« Er machte noch einen Schritt auf mich zu. Ich schaute zurück zu Lisa, fragte mich, ob sie ihn wohl aufhalten würde. Doch ihr Kopf rollte schlaff zurück, die Schultern zuckten. Sie war bereits weg.

    Als ich nach Hause kam, setzte ich mich, noch in der Jacke, auf mein Sofa und starrte auf meinen kalten Kamin. Ich fror, aber ich hatte nicht die Kraft, aufzustehen und Feuer zu machen. Ich hatte Lisa auf die schrecklichste Weise im Stich gelassen, die möglich war. Ich dachte an ihre Worte: Du hast es nicht gemerkt – du hast mich nicht beschützt . Sie hatte recht. Wie hatte ich das zulassen können? Wie hatte ich die Anzeichen übersehen können? Ich war Ärztin, ich war ihre Mutter . Ich war sicher, dass es einer der Betreuer in der Klinik gewesen war, der sie missbraucht hatte. Sie war jung gewesen, vielleicht zu jung für eine stationäre Therapie. Hatte ich es so eilig gehabt, sie irgendwo unterzubringen, dass ich nicht in Ruhe überlegt hatte, ob es die richtige Einrichtung für Lisa war? Ich war eine Hochstaplerin. All die Jahre über hatte ich versucht, Frauen zu helfen, und nicht die Wahrheit über meine eigene Tochter erkannt.
    Mir wurde schlecht, als ich an einen jungen Betreuer in der Klinik dachte, wie vertraut er und Lisa miteinander umgegangen waren. Er sagte mir, ich solle stark bleiben, wenn sie anrief und die ganze Zeit weinte – und sie nicht nach Hause holen. Später rief er mich an, um mir zu sagen, dass sie fortgelaufen sei. Sie hatte versucht zu entkommen, und ich hatte sie daran gehindert. Warum hatte sie nie etwas gesagt? Hatte sie gedacht, ich würde ihr nicht glauben? Es war nicht lange nach dem Tod ihres Vaters gewesen. Vielleicht wollte sie mich nicht aufregen.
    Ich wäre am liebsten zu der Entzugsklinik fahren und hätte alles kurz und klein geschlagen, um herauszufinden, wer mein Kind missbraucht hatte. Die Vorstellung, dass ein Mann sie anfasste, dass sie sich alleingelassen und verängstigt fühlte, drohte mich zu zerreißen. Aber solange Lisa den Täter nicht nannte, konnte ich nicht viel tun. Ich erwog, die Polizei anzurufen, aber die würden auch nichts tun können. Ich hatte ja nicht einmal einen Namen.
    Schließlich nahm ich ein heißes Bad und zwang mich, ins Bett zu gehen.

    Stunden später lag ich immer noch wach und

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