Blick in Die Angst
missbraucht wurde, übersehen hatte, und wieder rang ich mit denselben Fragen. Was für eine Mutter war ich? Was für eine Ärztin? Ja, sie hatte Schwierigkeiten gehabt, bevor ich sie in die Klinik steckte, aber danach war es nur noch schlimmer geworden. Ich hatte es so eilig gehabt, sie zu heilen, dass ich das Problem noch vergrößert hatte. Jetzt ergab ihr Verhalten nach der Therapie mehr Sinn, ihre Weigerung, mit mir oder Garret zu sprechen, ihr zunehmender Drogenmissbrauch. Es brach mir das Herz, dass sie mir nicht vertraut hatte, dass ich in all den Jahren anderen Menschen geholfen hatte, während meine eigene Tochter litt … Stopp. Das würde weder Lisa noch mir helfen. Ich musste einen Weg finden, mit ihr zu sprechen, ehe sie sich der Kommune anschloss. Sollte ich ihr noch ein paar Tage geben? Ich dachte immer noch darüber nach, als Kevin mit einer Tasse Kaffee in der Hand an meinem Tisch auftauchte. »Hi, wie geht’s?«
Ich bedeutete ihm, sich zu setzen. »Nicht besonders gut.«
»Hast du Lisa gefunden?«
»Ja, aber ich mache mir immer noch große Sorgen um sie.« Ich erzählte ihm, was geschehen war, ließ jedoch aus, was sie über den Missbrauch erzählt hatte. Ich wollte ihre Privatsphäre respektieren, und vor allem musste ich es selbst erst noch verdauen.
»Das muss hart gewesen sein, sie so zu sehen«, sagte er mitfühlend.
»Das war es. Und dann noch zu hören, wie ernst es ihr damit ist, zur Kommune zu gehen.« Ich dachte an den Schmerz in ihrem Blick, als sie zugegeben hatte, dass sie Hilfe suchte, an ihre Verzweiflung. Genauso hatte Heather mich angesehen, als sie erzählte, dass Aaron glaube, jeder könne sich selbst heilen. Wie er sie dazu gebracht hatte, sich schwach zu fühlen. Welche Lügen würde er meiner Tochter über ihre Drogenabhängigkeit auftischen?
»Hast du ihr von deinen Befürchtungen in Bezug auf ihre Techniken erzählt?«, fragte Kevin. »Oder von deinen eigenen Erfahrungen mit der Kommune?«
»Ich habe es versucht, aber sie wollte es nicht hören.«
»Glaubst du, dass sie ein anderes Mal vielleicht empfänglicher sein wird?«, fragte er leise.
Ich dachte darüber nach. Lisa war ziemlich high gewesen, und das war der falsche Zeitpunkt, um über irgendetwas mit ihr zu reden. »Vielleicht sollte ich es heute Abend noch einmal probieren. Aber es könnte schon zu spät sein …«
»Wenn sie zu einem Retreat geht oder sich dem Zentrum anschließt, wird sie zumindest clean. Anschließend kann sie vielleicht auch andere Entscheidungen über ihr Leben treffen. Es hört sich an, als akzeptiere sie allmählich, dass sie für ihre Abhängigkeit verantwortlich ist.«
»Ich hoffe es.« Ich schwieg und lächelte ihn an. »Tut mir leid, wahrscheinlich wolltest du eine entspannende Mittagspause haben, und jetzt hörst du dir schon wieder meine Probleme an.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich freue mich, wenn ich helfen kann. Brauchst du heute Abend Unterstützung?«
Ich dachte über sein Angebot nach, doch selbst, wenn ich es schaffte, Lisa aus dem Monkey House zu bekommen, würde sie nur einen Blick auf Kevin werfen und denken, ich hätte ihr eine Falle gestellt. »Danke, aber ich gehe besser alleine. Ich weiß nicht, wie sie auf dich reagieren würde.« Ich stand auf. »Ich muss wieder an die Arbeit.«
»Okay, schick mir nachher noch eine E-Mail, damit ich weiß, dass du nicht irgendwo im Graben gelandet bist.« Die Worte sollten scherzhaft klingen, aber seine Miene war ernst.
»Mach ich.« Ich war überrascht, wie sehr mich die Vorstellung freute, dass sich jemand um mich sorgte. Ich hatte vergessen, wie es sich anfühlte, jemanden über meine Angelegenheiten auf dem Laufenden zu halten. »Danke für das Gespräch.«
»Gerne.«
Als ich die Cafeteria verließ, schaute ich kurz zurück. Kevin starrte gedankenverloren auf seinen Becher.
Nach der Arbeit duschte ich, zog bequeme Kleidung an, nahm vorsichtig die Ohrringe und sämtlichen Schmuck ab und machte mich wieder auf den Weg zum Monkey House. Heute wollte ich früher dort sein, bevor es dunkel wurde. Ich blieb eine Weile im Wagen sitzen und beobachtete das Kommen und Gehen. Vielleicht wäre es doch eine gute Idee gewesen, Kevin mitzubringen, aber jetzt war es zu spät. Ich packte mein iPhone, hielt es einsatzbereit in der Hand und umklammerte mit der anderen die Pfefferspraydose in der Jackentasche. Dann drückte ich die Autoverriegelung gleich zweimal und betrat das Haus.
Ein paar Leute hielten bei ihrem Treiben
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