Blick in Die Angst
inne und starrten mich an. Sie standen in kleinen Grüppchen zusammen, mit ihren leeren Blicken erinnerten sie mich an Zombies aus einem Horrorfilm. Der Raum, in dem ich Lisa gestern gefunden hatte, war leer. Ich starrte auf die nackte Matratze, Furcht breitete sich in mir aus. Vielleicht war sie nur in ein anderes Zimmer gezogen. Eine Frau sagte dicht hinter mir: »Suchst du deine Tochter?«
Ich wirbelte herum. Es war die Frau der First Nations vom Tag zuvor.
Sie streckte die Hand aus. »Gib mir Geld, und ich sage dir, wo sie hin ist.«
Ich hatte meine Handtasche im Auto gelassen und zur das Allerwichtigste aus meiner Geldbörse in die Taschen meiner Jeans gestopft. Ich zog einen Zwanziger heraus. Sie wollte mehr. Ich schüttelte den Kopf. »Das ist alles, was ich habe.«
Sie riss mir den Geldschein aus der Hand. »Sie ist mit diesen Leuten vom Center weggegangen.«
Mein Blickfeld engte sich ein, die Gerüche des Hauses nach Schweiß, Drogen und Urin legten sich dick auf meine Kehle. »Sie meinen das River of Life Center?«
»Keine Ahnung, wie die heißen.« Sie zuckte die Achseln, kratzte sich träge am Arm und schabte mit den Fingernägeln etwas Wundschorf ab. Sie hielt inne, betrachtete die Wunde einen Moment und zupfte daran herum. Sie sah wieder zu mir. »Sie kommen immer her, verteilen ihre Flyer und Shit und versuchen, uns zu heilen.« Sie lachte. »Sie mögen deine Tochter bestimmt – haben ein paar Minuten mit ihr geredet.«
Beschreibungen. Konzentriere dich und versuch, Beschreibungen zu bekommen.
»Wie sahen sie aus?«
Ein weiteres träges Achselzucken. Sie starrte auf meine Tasche, als könnte daraus mehr Geld hervorkommen. Ich wartete, dass sie mir in die Augen sah, und starrte sie dann so lange an, bis sie den Blick abwandte. Schließlich sagte sie: »Irgend so’n alter Knacker mit grauem Haar und eine jüngere Tussi.«
Mir blieb die Luft weg. Meinte sie Aaron? »Haben sie irgendwelche Namen benutzt?«
»Nein – irgendwie sind die echt durchgeknallt. Ich hab versucht, Lisa zu warnen, aber sie hat nicht zugehört und meinte, die würden ihr helfen.«
Die Ironie entging mir nicht: Eine Drogenabhängige warnte meine Tochter, etwas sei nicht gut für sie. Ich fragte mich, ob sie ihr gleichzeitig auch einen Schuss angeboten hatte.
»Danke für die Informationen.« Ich zog eine meiner Karten aus der Tasche und hielt sie ihr hin. »Wenn Sie Lisa sehen oder wenn diese Leute zurückkommen, bitte rufen Sie mich unter dieser Nummer an. Sie bekommen eine Belohnung, wenn die Informationen dazu beitragen, dass ich sie finde.«
Sie schnappte sich die Karte, schielte darauf, als versuchte sie, die Worte zu lesen, und stopfte sie sich hastig in die Achselhöhle. Ihr Blick schweifte unruhig umher, als könnte ihr jemand die Karte stehlen.
Sobald ich wieder in meinem Auto saß, suchte ich in meinem iPhone die Nummer von Daniel heraus. Ich wusste nicht, ob sein Telefon noch angemeldet war, aber er ging beim ersten Klingeln dran.
»Daniel, hier ist Dr. Lavoie. Ich wollte wissen, ob Sie schon wieder im Zentrum sind.«
»Nein, ich mache erst noch diesen Job zu Ende. Sie haben mich im Voraus bezahlt und …«
»Ich könnte möglicherweise Ihre Hilfe brauchen.« Ich missachtete alle üblichen Regeln der Höflichkeit und platzte mit meinem Anliegen heraus. »Lisa, meine Tochter – ich glaube, sie ist im River of Life Center.« Ich hörte den Namen in meinem Kopf widerhallen und konnte es immer noch nicht fassen, dass Lisa an diesem Ort war, bei Aaron.
Ein langes Schweigen.
Ich starrte auf das heruntergekommene Gebäude vor mir.
»Sind Sie sicher?«, fragte er schließlich.
»Nein, aber genau das muss ich herausfinden.« Ich nagte an meiner Unterlippe, biss richtig zu. Wie lange nahm Lisa bereits wieder Drogen? Es war schwer zu sagen, ob sie heftige Entzugserscheinungen haben würde. »Es geht ihr nicht gut, und sie braucht möglicherweise medizinische Hilfe. Ich dachte, wenn Sie im Zentrum wären oder wenn Sie wüssten, wie man darin jemanden erreichen könnte …«
»Ist sie krank?«
Ich wollte nichts von ihrer Abhängigkeit erzählen. »Sie hatte kürzlich ein paar gesundheitliche Probleme, und ich will mich nur vergewissern, dass es ihr gutgeht.«
»Sie geben keine Informationen über Mitglieder heraus.«
»Das wurde mir auch gesagt. Aber wenn Sie anrufen würden, würde man Ihnen sagen, ob sie da ist?«
»Sie würden es niemandem erzählen. Das ganze Zentrum beruht auf dem Prinzip, dass die
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